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Todesmelodie

Todesmelodie

Titel: Todesmelodie
Autoren: Christopher Pike
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war sie zurückgekommen, um Paul zu treffen und mit ihm noch einmal ihren Plan für Sharon durchzugehen, die sie ebenfalls treffen wollte. Paul wußte, worüber sie mit ihm sprechen wollte, weil sie ihm gestern abend beim Abschied einen Hinweis gegeben hatte.
    »Ich halte es nicht mehr aus, Paul! Sie muß weg!«
    Nach diesen Worten hatte sie ihm einen Kuß gegeben und ihn hinausgeschoben, bevor er etwas erwidern konnte. Sie wollte wenigstens noch ein paar Stunden Schlaf bekommen, bevor die Sonne aufging; aber sie hatte nicht geschlafen. Sie hatte in ihrem dunklen, abgeriegelten Zimmer gelegen und sich vorzustellen versucht, wie es wohl sein würde, in die Tiefe zu fallen, ohne den Boden zu berühren.
    Es war ein heißer Tag. Ann mochte die Hitze, sie liebte alles Extreme. Sie lag gern schwitzend am Swimmingpool in der Sonne, ohne Handtuch auf dem nackten Betonboden, und ließ sich braten, bis ihre Haut goldbraun war. Paul meinte, sie sei verrückt, und vielleicht war sie es wirklich. Sie war verrückt nach ihm, und sie liebte ihn beinahe ebensosehr, wie sie Sharon haßte.
    Beinahe – ein Wort, nur drei kurze Silben, die trotzdem etwas Trauriges ausdrückten. Jerry hätte beinahe überlebt. Wenn der Lauf der Waffe einen Zentimeter weiter rechts oder eine Idee weiter links gewesen wäre, würde er jetzt vielleicht neben ihr stehen, wartend wie sie, um seine geliebte Sharon zu treffen! Himmel, wie er Sharon geliebt hatte!
    Das Problem mit Patronen war, daß sie nichts von Zentimetern wissen konnten. Aber Ann wußte genau, warum Jerry den Abzug betätigt hatte: Auch er war ein Mensch der Extreme gewesen, das lag wohl in der Familie. Kein Wunder, daß ihre Eltern beide an Herzattacken gestorben waren, bevor sie sechzig wurden: zuviel Streß, zu viele ›Beinahes‹.
    Gerade in diesem Augenblick kam Paul angefahren und parkte am Fuß des Hügels, auf dem Platz hinter der Schule. Beim Aussteigen winkte er ihr zu. Er brauchte wirklich ein neues Auto! Im Moment mußte er den Wagen seines Bruders leihen, wenn er irgendwohin wollte.
    Ein paar Wochen zuvor hatte sie versucht, ihm einen neuen fahrbaren Untersatz zu kaufen, aber er hatte abgelehnt. Immerhin hatte er die Kleidungsstücke angenommen, die sie ihm geschenkt hatte. Jetzt trug er die schwarze Hose und das schwarze Seidenhemd, beides von ihr ausgesucht. Schwarz stand ihm gut zu seinen dunklen, zigeunerhaften Zügen und dem brennenden Blick seiner tiefbraunen Augen. Es waren diese Augen gewesen, die sie als erstes angezogen hatten. Er war einige Jahre älter als sie und hatte schon ein Jahr in der Marine hinter sich.
    Wenn sie seinem Blick begegnete, hatte sie das Gefühl, einen Sturm über einem bewegten Meer heraufziehen zu sehen; aber nur, wenn sie genau hinsah. Nach außen hin war Paul eher ruhig. Seit seiner Zeit in der Marine hatte er keinen festen Job mehr gehabt, ließ sich einfach treiben. Aber für alles, was seine Leidenschaft wecken konnte, hatte er genügend Energie – und dazu gehörte auch sie. Oft blieben sie nächtelang wach und lieferten sich heiße Diskussionen, und sie hatten auch öfter Streit.
    Paul war aus grobem Holz geschnitzt, und im Grunde hatten sie nicht viel gemeinsam. Er las nicht, interessierte sich nicht sonderlich dafür, was in der Welt vor sich ging, und er wußte wahrscheinlich weniger als ein Zehntel dessen, was sie gelernt hatte. Und trotzdem fühlte sie sich von ihm gefesselt. Wie ein Buch, bei dem man nicht aufhören konnte zu lesen, ließ sie sein Körper nicht los. Auch sein Wesen oder das, was sie davon kannte, faszinierte sie – sie verstand ihn nicht und konnte nie nachvollziehen, wie er dachte, und das machte ihn in ihren Augen zu einem Rätsel, das sie ergründen wollte. Vielleicht war das ihre einzige wirkliche Gemeinsamkeit, denn sie verstand sich selbst genausowenig und hatte den Eindruck, daß es auch kein anderer tat.
    Sie hob den Arm und winkte zurück. »Ich hatte doch halb drei gesagt!« rief sie.
    Paul warf einen prüfenden Blick auf seine Uhr, während er den Hügel heraufkam. Auf seiner Stirn glitzerten Schweißperlen, doch es war nicht der kurze Anstieg, der ihn schwitzen ließ. Er war körperlich bestens in Form, denn er arbeitete regelmäßig mit Gewichten. Er war so ein Kraftpaket, daß er sie mit einer Hand hochheben und mit dem kleinen Finger wieder absetzen konnte.
    »Ich hab’ Chad geholfen, die Mauer fertigzubauen«, erklärte er.
    Sein Bruder reparierte gerade eine Steinmauer am nördlichen Ende
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