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Todesmelodie

Todesmelodie

Titel: Todesmelodie
Autoren: Christopher Pike
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Drogensüchtige als Zimmernachbarin. Sie hieß Mary, und wenn sie nicht gerade bewußtlos war, litt sie unter Wachträumen.
    John kam alle paar Tage vorbei. Er erzählte ihr, Anns Leiche sei nicht zu finden, und Sharon meinte, das könnte wichtig sein, aber John widersprach ihr. Es gebe keinen Zweifel, daß Ann tot sein müsse, es könne gar nicht anders sein.
    Sie war eine hundertfünfzig Meter hohe Klippe hinuntergefallen, in einen tosenden Fluß, der nach ein paar Metern in einen See mündete. Dort konnte ihre Leiche ohne weiteres verschwunden sein, das mußte auch Sharon zugeben. Es klang logisch.
    Eine Anhörung wurde abgehalten, bei der John versuchte, den Fall niederzuschlagen. Sharon wurde hier als schuldig angesehen, bis ihre Unschuld bewiesen war, also genau umgekehrt wie bei einem Prozeß, erklärte John. Aber er hatte keinen Erfolg.
    John selbst zeigte keine Enttäuschung, er hatte es kommen sehen. Sharon war deprimiert, denn nun mußte sie wieder in ihre Zelle zurück – die man nicht gerade als idealen Aufenthaltsort für wohlerzogene Mädchen bezeichnen konnte. Ihre Zellennachbarin hatte mittlerweile im Gefängnis eine Nachschublinie entdeckt und sprach nach jedem Schuß mit dem lieben Gott.
    Sharon glaubte, sie würde jeden Moment verrückt. Ihre Mutter bekam sie so gut wie nie zu Gesicht, und dann ließen sie sie hier im Gefängnis nicht an ein Klavier heran! Ohne ihre Musik kam sie sich vor wie in einer Falle. Sie war naiv genug gewesen zu glauben, daß ein höflicher Brief an den Wärter ihr Zugang zu einem Instrument verschaffen würde – aber die Mädchen in ihrem Block meinten, der Wärter könne nicht mal lesen!
    John versuchte, möglichst bald einen Prozeßtermin zu bekommen, und weil gerade nicht so viele Fälle zur Verhandlung anstanden, hatte er Erfolg.
    Vier Wochen nach ihrer Verhaftung saß Sharon mit John im Gerichtssaal und wartete auf das Erscheinen des Richters. Immer noch war die Leiche nicht gefunden, und immer noch meinte John, es sei nicht wichtig.
    »Wie fühlst du dich?« fragte er, als er ihren Blick bemerkte.
    »Okay. Und Sie?«
    »Sehr gut. Ich hab’ geschlafen wie ein Baby!«
    »Wie schon für Sie!«
    »Hey, du brauchst doch nur dazusitzen und dir alles anzuschauen, die ganze Arbeit mache ich.« Er warf einen Blick auf seine Uhr. »Wo bleibt denn der alte Bastard bloß?«
    »Wie ist Richter Warner eigentlich, mal abgesehen davon, daß Sie ihn Bastard nennen?« erkundigte sich Sharon.
    »Er war mal einer der besten Richter in diesem Staat, aber dann hatte er vor ein paar Jahren einen leichten Schlaganfall. Seitdem ist er ziemlich langsam. Letztes Jahr ist er bei einem meiner Prozesse während des Schlußplädoyers des Staatsanwalts eingeschlafen. Aber er mag mich.«
    »Warum?«
    »Weil ich ihn wach halte.«
    Sharon blickte verstohlen zur Staatsanwältin hinüber. Es war Margaret Hanover, die Bezirksstaatsanwältin selbst. Sharon hatte insgeheim beschlossen, daß sie geschmeichelt sein konnte, weil diese Frau ihren Fall nicht an einen zweitklassigen Vertreter übergeben hatte. Aber John hatte ihr den Grund dafür schon erklärt: Margaret Hanover konnte ihn nicht leiden. Er führte es darauf zurück, daß er sie ein paar Jahre zuvor in einem Prozeß einmal fürchterlich blamiert hatte – aber die Mädchen im Gefängnis erzählten sich, er hätte vielmehr versucht, bei ihr zu landen.
    Das allerdings ging so ziemlich über Sharons Vorstellungskraft: Die Frau war Mitte Fünfzig und hatte eins von diesen Gesichtern, die nie richtig jugendlich aussahen. Die scharfen Falten um ihre Augen sahen aus wie mit dem Messer eingekerbt, und obwohl Margaret Hanover alles andere als dick war, hatte sie ein bemerkenswertes Doppelkinn. Alles in allem war sie so häßlich, wie man nur sein konnte, und Sharon fühlte fast so etwas wie Mitleid mit ihr. Aber sie war sich auch darüber klar, daß sie sich selbst noch viel mehr bemitleiden würde, falls die Staatsanwältin sie wieder hinter Gitter bringen würde.
    »Ich habe heute morgen mit deiner Mutter gesprochen«, meinte John.
    »Und wie geht’s ihr?« fragte Sharon. Ihre Qual im Gefängnis wurde nämlich mindestens zur Hälfte von dem Gedanken verursacht, wie schlimm ihre Mutter unter all dem leiden mußte. Sie war in der Kirchengemeinde sehr aktiv, und die andern Frauen taten nichts lieber, als sich hinter dem Rücken anderer die Mäuler zu zerreißen. Bei den Besuchen im Gefängnis versuchte Sharons Mutter ihrer Tochter zuliebe aber ‘
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