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Todesmarsch

Titel: Todesmarsch
Autoren: Stephen King
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McVries neben ihm. »Ich wünsche euch allen Glück.«
    »Dir auch viel Glück«, erwiderte Garraty überrascht.
    »Ich sollte mir meinen verdammten Schädel untersuchen lassen«, antwortete McVries darauf. Er sah plötzlich verschwitzt und blaß aus, gar nicht mehr so durchtrainiert wie vorher. Er versuchte zu lächeln, aber es mißlang. Die Narbe stand wie ein krasses Ausrufungszeichen auf seiner Wange. Stebbins stand auf und schlenderte zum Ende der zehn Mann breiten und zehn Reihen langen Gruppe. Olson, Baker, McVries und Garraty standen in der dritten Reihe. Garratys Mund war trocken. Er überlegte, ob er einen Schluck Wasser trinken sollte, entschied sich dann aber dagegen. Noch nie in seinem Leben hatte er seine Füße so sehr gespürt. Er fragte sich, ob er sich versteifen und gleich hier auf der Startlinie erledigt werden würde. Er fragte sich, ob Stebbins früh zusammenklappen würde - Stebbins mit seinem Mar- meladenbrot und seiner lila Hose. Er fragte sich, ob er selbst als erster zusammenklappen würde. Er fragte sich, was für ein Gefühl es wohl wäre, wenn - Seine Armbanduhr zeigte 8.59.
    Der Major blickte auf eine Taschenuhr aus rostfreiem Stahl. Langsam hob er seine Hand, und jetzt hing alles von seinen Fingern ab. Die hundert Jungen blickten ihn aufmerksam an; die Stille war grauenvoll intensiv. Die Stille füllte alles aus.
    Garratys Uhr stand schon auf 9.00 Uhr, aber die erhobene Hand fiel nicht.
    Nun mach schon! Warum tut er es nicht?
    Am liebsten hätte er es laut herausgeschrien.
    Dann fiel ihm wieder ein, daß seine Uhr ja eine Minute vorging - er hätte sie nach dem Major stellen können, aber er hatte es nicht getan. Er hatte es vergessen.
    Die Hand des Major senkte sich. »Viel Glück euch allen«, sagte er. Sein Gesicht war ausdruckslos; die spiegelnden Brillengläser verbargen seine Augen. Langsam gingen sie los, ohne zu drängeln.
    Und Garraty ging mit ihnen. Er war nicht erstarrt. Niemand erstarrte. Seine Füße kamen am Merkstein vorbei, im Gleichschritt mit McVries an seiner linken und Olson an seiner rechten Seite. Seine Schritte klangen sehr laut.
    Das ist es, das ist es, das ist es...
    Plötzlich hatte er wahnsinnige Lust, stehenzubleiben, nur um zu sehen, ob sie es wirklich ernst meinten. Ärgerlich und nicht ganz ohne Angst schob er den Gedanken beiseite.
    Sie kamen aus dem Schatten in die warme Frühlingssonne. Das war ein gutes Gefühl. Garraty entspannte sich, steckte die Hände in die Taschen und paßte sich McVries' Schritten an. Die Gruppe verteilte sich; jeder fand seinen eigenen Rhythmus und seine eigene Geschwindigkeit. Das Panzerfahrzeug begleitete sie klirrend auf dem weichen Seitenstreifen, wo es eine dünne Staubwolke aufwirbelte. Die kleinen Radarschirme drehten sich geschäftig. Sie zeichneten mit Hilfe des Computers im Innern des Fahrzeugs die Geschwindigkeit jedes einzelnen Gehers auf. Die unterste Geschwindigkeitsgrenze lag bei genau vier Meilen pro Stunde.
    »Warnung! Warnung für Nummer 88!«
    Garraty erschrak und blickte zurück. Es war Stebbins. Nummer 88 war Stebbins. Plötzlich war er davon überzeugt, daß Stebbins seine Eintrittskarte in den Himmel gleich hier, noch in Sichtweite des Merksteines, erhalten würde.
    »Schlau.« Das war Olson.
    »Was?« fragte Garraty. Er mußte sich anstrengen, um seine Zunge zu bewegen.
    »Der Typ fängt sich eine Warnung ein, solange er noch frisch ist, und bekommt so einen Eindruck von seinem Spielraum. Er kann sie ja leicht wieder ablatschen - wenn man eine Stunde lang ohne eine neue Warnung geht, verliert man die alte. Das weißt du doch.«
    »Klar weiß ich das«, sagte Garraty. Es stand im Regelbuch. Sie gaben einem drei Verwarnungen. Wenn man zum vierten Mal langsamer als vier Meilen pro Stunde wurde, wurde man -nun ja, dann war man draußen. Wenn man aber drei Verwarnungen hatte und es fertigbrachte, drei Stunden lang ohne neue zu gehen, dann hatte man wieder einen Platz an der Sonne.
    »Jetzt weiß ers also«, stellte Olson fest. »Und um zwei Minuten nach zehn ist wieder alles in Ordnung.«
    Garraty lief mit einer guten Geschwindigkeit. Er fühlte sich wohl. Sie verloren den Startposten aus den Augen, nachdem sie einen Hügel hinauf marschiert waren und dann in ein langes, mit Kiefern bewaldetes Tal hinabstiegen. Hier und da sahen sie rechteckige, frisch gepflügte Felder.
    »Kartoffeln sollen das sein«, bemerkte McVries.
    »Die besten auf der Welt«, antwortete Garraty automatisch.
    »Bist du aus Maine?«
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