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Todeshaus am Deich

Todeshaus am Deich

Titel: Todeshaus am Deich
Autoren: Hannes Nygaard
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deren Sitz war identisch
mit den vier Landgerichtsbezirken Schleswig-Holsteins.
    Hauptkommissar Christoph Johannes stand am Fenster
seines Büros und sah auf die gegenüberliegende Gleisanlage. Er war vor
zweieinhalb Jahren gegen seinen Willen aus Kiel an die Westküste versetzt
worden und hatte seinen ruhigen Posten in der Polizeiverwaltung gegen den des
Leiters der Kriminalpolizeistelle Husum tauschen müssen.
    »Du wirst ein Provinzkommissar«, hatten seine
ehemaligen Kollegen in Kiel gelästert und dabei offengelassen, ob sie damit den
Standort in Nordfriesland oder den Aufgabenbereich in einer aus ihrer Sicht
nachgeordneten Dienststelle meinten. Ihm fehlte damals jegliche Routine in der
praktischen Verbrechensbekämpfung vor Ort. Das hatten ihn auch Oberkommissar
Große Jäger, der sich im Stillen selbst Hoffnung auf diese Position gemacht
hatte, und der ehrgeizige Dr. Starke aus Flensburg spüren lassen. Der
Kriminaloberrat nutzte jede Gelegenheit, die Tätigkeit der Husumer Kripo in ein
schlechtes Licht zu rücken und die Ermittlungen vor Ort zu behindern.
    Nicht zuletzt dank eines hervorragenden Teamgeistes
hatten die Husumer in den letzten Jahren aber gute Arbeit geleistet und auch
gegen behördeninternen Widerstand einige spektakuläre Fälle klären können. So
hatte der letzte Fall überregional Aufsehen erregt, und die gute
Ermittlungsarbeit der Nordfriesen war auch der Kieler Polizeiführung nicht
entgangen.
    Obwohl Dienststellung und Raumangebot es Christoph
gestattet hätten, in einem eigenen Büro zu residieren, teilte er sich aus lieb
gewonnener Gewohnheit den Raum mit Große Jäger und Mommsen.
    Er wurde durch das Klingeln des Telefons aus seinen
Gedanken gerissen.
    »Fehling«, meldete sich die sympathische Stimme der
Sekretärin von Polizeidirektor Grothe. »Der Chef möchte Sie sprechen.«
    Christoph hatte sich seit Beginn seiner Zeit in Husum
daran gewöhnt, dass der Leiter der Polizeidirektion von allen respektvoll mit
»Chef« angesprochen wurde.
    Die gepflegte und stets dezent-geschmackvoll
gekleidete Frau Fehling, die im vergangenen Jahr das sechzigste Lebensjahr
überschritten hatte, blickte auf, als Christoph eintrat, und zeigte auf die
Zwischentür.
    »Der Chef erwartet Sie.«
    Nach einem eher symbolischen Anklopfen trat Christoph
ein. Es bot sich ihm ein vertrautes Bild: Grothe thronte hinter seinem
Schreibtisch. Zwei breite Hosenträger spannten sich über den gewölbten Bauch,
der sich nur mit Mühe hinter der Schreibtischkante verstecken konnte. Der Knopf
am viel zu engen Halskragen war gelockert. Auf dem Stiernacken saß der große
runde Kopf, den Christoph noch nie anders als in einem Hochdruckrot gesehen
hatte.
    Der Polizeidirektor zog an seiner Zigarre, deren Qualm
in blauen Schwaden durch den Raum waberte, und wies, den Glimmstängel als Zeigestock
nutzend, auf den Besucherstuhl.
    Wie üblich ersparte sich Grothe Begrüßung und
Einleitung.
    »Wir haben ein besonderes Hilfeersuchen des
Polizeipräsidiums Münster vorliegen. Es handelt sich um einen außergewöhnlichen
Fall. In der Kinderonkologie der Westfälischen Wilhelms-Universität liegt ein
neunjähriger Junge. Der kleine Lukas leidet an Leukämie. Die dortigen Ärzte
geben dem Kind nur noch eine geringe Chance. Dazu bedarf es dringend einer
Knochmarktransplantation. Man hat einen geeigneten Spender herausgefiltert.
Thorben Althoff heißt der Mann, ist Mitte zwanzig und wohnt nach letzten
Informationen in Husum.«
    Christoph sah den Polizeidirektor fragend an.
    Grothe zog erneut an seiner Zigarre und unternahm gar
nicht erst den Versuch, die Rauchwolke in eine andere als Christophs Richtung
zu blasen. Ungerührt registrierte er, dass Christoph nur mit Mühe einen
Hustenreiz unterdrücken konnte.
    »Das Problem der Ärzte ist, dass sie Althoff nicht
erreichen können. Der Mann scheint wie vom Erdboden verschwunden zu sein. Also,
mein Sohn, mobilisieren Sie Ihre Mannschaft und stöbern Sie den potenziellen
Spender auf. Eile ist geboten.«
    Der Polizeidirektor beugte sich kommentarlos über
Unterlagen, die auf seinem Schreibtisch lagen, und begann, ein Schriftstück zu
lesen.
    Aus Erfahrung wusste Christoph, dass die Unterredung
damit beendet war. Grothe, der Dithmarscher Bauernsohn, war ein Mann der
knappen, aber klaren Worte, ohne überflüssige Schnörkel. Jeder Beamte der
Direktion hatte Respekt vor dem altgedienten und erfahrenen Polizisten, wusste
aber auch, dass Grothe nicht nur Achtung und Disziplin einforderte,
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