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Todeshaus am Deich

Todeshaus am Deich

Titel: Todeshaus am Deich
Autoren: Hannes Nygaard
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»Haben Sie Gift
gesagt? Soll das ein Scherz sein? Wer sollte daran interessiert sein, einen
alten, mittellosen Mann zu vergiften?«
    Der Oberkommissar sah den Heimleiter lange an.
    »Sie zum Beispiel«, sagte er dann.
    »Ich? Was sollte ich für einen Grund haben?«
    »Wenn der Verstorbene mittellos war, könnte es doch
interessant sein, den frei werdenden Pflegeplatz mit einem zahlungskräftigeren
jüngeren Senior zu besetzen, der zudem weniger Arbeit bedeutet.«
    »Das ist ja unerhört«, schimpfte Brodersen. »Ich fasse
es nicht, was sich hier in meinem Haus abspielt.«
    »Sehen Sie«, erwiderte Große Jäger ungerührt. »Vor dem
gleichen Rätsel stehen wir auch. Und nun bitte ich Sie, eine Schweigeminute
einzulegen.«
    »Ich habe hier Hausrecht! Ich! Ganz allein!« Brodersen
hatte vor Zorn geschwollene Adern an den Schläfen.
    »Das haben Sie nur, wenn wir nicht da sind. Unsere
Rechte sind die stärkeren, insbesondere wenn wir ungeklärten Todesfällen
nachgehen«, erwiderte der Oberkommissar und hatte einen Tonfall angeschlagen,
als würde er einem kleinen Kind etwas erklären. Dann wandte er sich wieder an
die Ärztin.
    »Also, was ist mit Ihrer Vermutung? Gift?«
    Dr. Michalke schüttelte den Kopf. »Das kann man nur im
Labor feststellen. Der schnelle Eintritt der Totenstarre könnte aber auf eine
schwere Anstrengung vor dem Tod hindeuten. Zum Beispiel auf einen Krampf. In
Verbindung mit der nahezu unbeweglichen Kaumuskulatur und den Blutungen um die
Augäpfel könnte der Tod durch Ersticken eingetreten sein. Merkwürdig sind auch
die Anzeichen einer Zyanose.«
    »Was ist das?«, fragte der Oberkommissar.
    »Das ist eine bläuliche Verfärbung der Lippen,
Schleimhäute und Fingernägel und deutet auf eine mögliche Unterversorgung des
Blutes mit Sauerstoff hin. Das können Anzeichen für einen Erstickungstod sein,
kann aber ebenso als Symptom einer Herzerkrankung gedeutet werden.«
    »Donnerwetter«, merkte Große Jäger an. »Gibt es Spuren
am Hals?«
    »Keine«, antwortete Dr. Michalke. »Wobei die bei den
Falten des alten Mannes auch nur schwer auszumachen wären.«
    »Insbesondere, da mit Sicherheit kein übermäßiger
Kraftaufwand erforderlich war«, ergänzte der Oberkommissar. Dann sah er die
Ärztin an. »Kompliment. Den meisten Ärzten entgehen solche Anzeichen bei der
Leichenschau.«
    Große Jäger wandte sich an den Heimleiter. »Bis zur
Klärung des Sachverhalts bleibt der Raum unter Verschluss. Wir werden ihn
versiegeln.«
    Brodersen schien sprachlos. Mehrfach versuchte er zu
einer Antwort anzusetzen, bis er schließlich hervorbrachte: »Wie soll ich das
den Bewohnern der Residenz erklären? Das bringt Unruhe in unseren Tagesablauf.
Die alten Leute werden verunsichert sein. Wer kommt für die Rufschädigung auf?«
Er sah Dr. Michalke an. »Und das alles nur, weil eine übereifrige Frau am Ziel
vorbeischießt und sich ihrer ärztlichen Verantwortung gegenüber den Lebenden
nicht bewusst ist. Oder möchten Sie nur einmal bedeutungsschwanger die
allwissende Gerichtsmedizinern spielen, die mysteriöse Vorgänge ans Tageslicht
bringt?«
    »Vielleicht haben wir hier einen solchen Fall. Dann
können Sie besonders stolz drauf sein, dass ein weiblicher Dr. Quincy Ihre
Senioren betreut.«
    Brodersen zuckte wie unter Peitschenhieben zusammen,
als Große Jäger seine Worte durch ein joviales Klopfen auf die Schulter des
Heimleiters unterstrich.
    Harm Mommsen, der zweite Polizeibeamte, hatte die
ganze Aktion ebenso schweigend verfolgt wie Schwester Anke, die dem jungen
Kommissar zwischendurch verstohlene Seitenblicke zugeworfen hatte.
    *
    Das graue Dienstgebäude der Husumer Polizei lag in der
Poggenburgstraße, schräg gegenüber vom Bahnhof der nordfriesischen Metropole.
Vor mehr als einem Jahr war im Zuge der Organisationsreform der Landespolizei
aus der Inspektion eine Polizeidirektion geworden. Die kleinste des Landes. Das
bezog sich aber nur auf die Anzahl der Bediensteten, nicht hingegen auf die
Erfolge, die von den Frauen und Männern am äußersten nordwestlichen Zipfel
Deutschlands erzielt wurden. Jetzt waren die Husumer direkt der Polizeiführung
in Kiel verantwortlich und nicht mehr eine dem fernen Flensburg zugeordnete
Behörde. Die Flensburger Bezirkskriminalinspektion war aber noch für
Tötungsdelikte und schwere Kapitalverbrechen zuständig. Eine sinnvolle
Arbeitsteilung, da die BKIs, wie sie in Kurzform genannt wurden, jeweils am
Sitz einer Staatsanwaltschaft eingerichtet waren. Und
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