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Todesfrauen

Todesfrauen

Titel: Todesfrauen
Autoren: Jan Beinßen
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Glauben zu schenken. Wie auch immer: Auf jeden Fall war es lange her, dass ihr jemand auf eine so charmante Weise den Hof gemacht hatte. Sie lächelte und stieß mit Diehl an. Der Abend nahm einen guten Anlauf.
     
    So blieb es auch. Gabriele war von Diehls auf angenehme Art einnehmenden Wesen sehr angetan. Nur zu gern ließ sie sich auf ihn ein, hörte ihm zu und erzählte selbst einiges von sich und ihrem Leben, wenn auch nicht zu viel. Dabei ließen sie es sich schmecken und sprachen dem guten Wein zu. Nach einer halben Stunde wechselten sie zum Du.
    Bald war Gabriele beschwipst und gleichzeitig voller kribbelnder Erregung. Das machte sie unsicher und zauberte kleinste Schweißperlen auf ihre Stirn. Als sie ihre Handtasche von der Stuhllehne nahm, um nach einem Taschentuch zu suchen, entglitt sie ihr. Die Tasche fiel herunter, schnappte auf und verteilte ihren Inhalt über den Boden.
    Sofort sprang Diehl, ganz Gentleman, auf und half ihr dabei, die Geldbörse, den Lippenstift, Kugelschreiber und Pillendöschen einzusammeln. Leider fiel ihr zu spät auf, dass auch eine kopierte Buchseite aus einem Kunstführer darunter war, die Diehl ebenfalls bemerkte und neugierig anhob. »Ich darf doch?«, fragte er und breitete das Blatt auf dem Tisch aus.
    Gabriele zwang sich zu einem Lächeln. Was sollte sie denn anderes tun, als das Folgende einfach geschehen zu lassen? Wenn sie sich nicht verplapperte, würde der Kommissar keinen Verdacht schöpfen.
    »Korrigiere mich, wenn ich Unrecht habe«, sagte Diehl, ohne den Blick von dem Bild zu lassen. »Wenn ich mich nicht täusche, ist das die Handschrift von Jean-Baptiste Siméon Chardin.« Nun sah er Gabriele fragend an. Ohne eine Spur von Misstrauen.
    »Ja, Kompliment, du hast richtig getippt. Es ist eine Vorarbeit oder Studie zu seinem berühmten Werk ›Der Rochen‹ von 1726«, sagte sie und bemühte sich, unaufgeregt zu klingen.
    »Der hängt im Louvre in Paris«, wusste Diehl. Gabriele nickte, worauf Diehl seine Konzentration wieder auf die Farbkopie richtete. Er beugte sich sehr nahe über das Werk und begann damit, Einzelheiten des Stilllebens zu beschreiben: »Eine Arbeitsplatte in einer Küche, ein wenig schmuddelig, gleichzeitig aber birgt es diverse Köstlichkeiten. Siehst du dort die Austern? Sie liegen scheinbar achtlos neben zwei ausgeweideten Fischen, aber ihre zarte perlmuttglänzende Farbe kehrt das Besondere heraus.«
    Gabriele folgte Diehls Blick und fragte sich, ob er sein Kunstinteresse nur vorgab, um ihr zu schmeicheln, oder ob sich wahre Leidenschaft dahinter verbarg. Der Polizist Diehl, ein Wesensverwandter? Jedenfalls wollte sie sein Interesse nicht unkommentiert lassen und stieg darauf ein, indem sie den Philosophen Denis Diderot zitierte, der als Bewunderer von Chardins Werken galt: »Oh, Chardin! Du zerreibst kein Weiß, Rot oder Schwarz auf deiner Palette, sondern das eigentliche Wesen der Gegenstände. Mit der Spitze deines Pinsels fährst du in die Luft und in das Licht und bannst sie selbst auf die Leinwand.«
    Diehl sah sie voll der Anerkennung an. Seine Augen leuchteten. Dann suchte er nach Worten, um das nächste bemerkenswerte Detail zu beschreiben. Er wählte das einzig lebende Geschöpf auf dem eigentümlich düsteren Gemälde: »Eine Katze, die lauert. Der Schwanz ist aufgestellt, und sie macht einen Buckel. Der Glanz ihrer Augen steht im Gegensatz zum glasigen Blick des Fisches. Sie beobachtet ihn und schickt sich an, sich auf ihn zu stürzen. Ob es ihr gelingt? Der Stapel Austern, auf dem sie ihr Gleichgewicht hält, wird wohl gleich zusammenstürzen und mit ihm die vom Maler so schön zu einer Pyramide aufgeschichteten Gegenstände.«
    »Sehr sauber beobachtet«, lobte Gabriele ihn. »Nicht schlecht für einen Kunstlaien.«
    »Saubere Beobachtung gehört auch in meinem Job dazu. Wenn ich einen Tatort inspiziere, gehe ich nicht wesentlich anders vor als bei der Analyse dieses Bildes.« Noch einmal widmete er sich dem Werk und meinte: »Die Speisen auf dem Tisch sehen appetitlich aus. Vor allem der Fisch wirkt fangfrisch. Der Rochen erscheint mir allerdings etwas Furcht einflößend.«
    Gabriele freute sich über diese Feststellung, denn sie wusste: »Chardin soll dieses Bild sehr schnell gemalt haben, sodass er den frischen Rochen am nächsten Tag noch essen konnte.«
    »Bemerkenswert. Ich bräuchte für ein Gemälde mit einer solchen Detailfülle eine Ewigkeit. Und selbst dann würde es nicht viel anders aussehen als eine
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