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Tod im Moseltal

Tod im Moseltal

Titel: Tod im Moseltal
Autoren: Carsten Ness
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Arbeitszimmer. Auch hier, an der Stätte seiner genialen Einfälle, kam sein Gehirn nur langsam in Fahrt. Inmitten des gedanklichen Chaos fanden schließlich drei Fragen und eine sich stetig wiederholende Antwort den Weg in sein Bewusstsein: Wer ist das? Was, verdammt noch mal, macht sie in meinem Bett? Polizei? -Scheiße, Scheiße, Scheiße, Scheiße!
    *
    Der Kriminalbeamte Christian Buhle, der offenbar das Sagen über diese stumme Armee weiß uniformierter Ameisen hatte, stand vollkommen ruhig in der gegenüberliegenden Ecke des Wohnzimmers. Sein Blick schien Thomas nur gelegentlich, fast nebenbei zu streifen. Viel mehr Beachtung fand dagegen die Einrichtung des Wohnzimmers.
    Lange schaute er die schier endlosen Reihen des Bücherregals entlang, als ob er später in seinem polizeiinternen Bericht aus dem Gedächtnis eine Aufstellung der dort vertretenen Literatur wiederzugeben gedachte. Thomas überlegte kurz, welchen Eindruck seine Sammlung marxistischer Literatur wohl auf den beunruhigend teilnahmslosen Kommissar machte. Er hatte die gut zwei Meter zumeist gebundener Wälzer kurz vor Beginn der Währungsreform auf der Klassenfahrt in Dresden für »’nen Appel und ’ne Banane« – der Lacher an dieser Stelle war zu Studienzeiten bei den Wessis in Kaiserslautern immer vorprogrammiert gewesen – erstanden. Lediglich einige Engels- und Lenin-Bücher hatte er erst später, in seiner Erstsemesterzeit, von einem Spartakus-Aussteiger für harte West-Mark gekauft. Doch sosehr diese Kleinbibliothek linken Pseudointellektualismus auf seine damaligen Kommilitonen und einen Teil seiner heutigen Geschäftsfreunde Eindruck machte, im Gesicht des an der anderen Zimmerwand real existierenden Kriminalbeamten war nichts dergleichen zu erkennen. Genauso wenig wie damals bei seinem Vater.
    Erst als Buhle die Familiengalerie näher in Augenschein nahm, studierte er jedes Foto mit merklichem Interesse. Nach der letzten Aufnahme, die die beiden Kinder beim Auspacken der Geschenke am vergangenen Weihnachtsfest zeigte, erlosch die fast menschlich wirkende Regung in seinem Gesicht jedoch wieder. Dafür schien in seinem Körper ein Mechanismus in Gang gesetzt worden zu sein, der ihn langsam, aber unaufhaltsam auf Thomas zukommen ließ.
    »Erstaunlich sympathische Kinder haben Sie, Herr Steyn. Wo sind die eigentlich momentan?«
    Hatte Thomas geglaubt, seit dem Anruf beim Polizeipräsidium wenigstens den Hauch von Kontrolle wiedergewonnen zu haben, so traf ihn der erste Satz Buhles wie schwüle Sommerhitze eine eisgekühlte Colaflasche. Der Schweiß trat ihm schneller auf die Stirn, als sein Blick zur kleinen Standuhr im Bücherregal hasten konnte. Es war Viertel nach drei. In spätestens zehn Minuten würde Marie mit Mattis und Nora zum Bahnhof aufbrechen.
    »Entschuldigen Sie. Ich muss telefonieren.«
    Das Smartphone lag unter der Fernsehzeitschrift. Thomas brauchte vier Versuche, bis er die richtige Nummer gewählt hatte. Mit Mühe gelang es ihm, sich den Weg vorbei an einem in einen weißen Overall verpackten Mann ins ruhigere Nachbarzimmer zu bahnen. Unmöglich schien es aber zu sein, seine Schwiegermutter davon zu überzeugen, seine Frau noch vor der Abfahrt ans Telefon zu holen. Als Marie dann doch hörbar genervt vom Abfahrtsstress mit Kindern und Mutter ans Telefon hetzte, fehlten Thomas die Worte. Schließlich stieß er hervor:
    »Es ist besser, wenn du erst morgen kommst. Marie, ich kann dir jetzt nichts erklären. Ich meine, es ist nichts, nicht mit mir, es ist –«
    »Was ist los?«, unterbrach ihn Marie. Ihre Stimme klang belegt. Irritation und aufflammende Wut hielten sich offenbar die Waage. »Du hast ja wohl keine Frau im Bett, oder?«
    Thomas zuckte zusammen. Die Tote lag wohl tatsächlich noch im Bett.
    »Thomas?« Doch selbst die nun folgende Pause überstieg seine augenblickliche Reaktionsgeschwindigkeit. Dafür konnte er förmlich sehen, wie Marie mit rollenden Augen den Blick nach links unten wandte, mit diesem leichten Seufzer, der gerade noch seinen Weg durch zusammengepresste Lippen fand. »Tom, rede!«
    Thomas liebte seine Frau einen spontanen Moment lang für dieses schon lange nicht mehr ausgesprochene »Tom«. Ein Relikt aus einer Zeit, in der Liebe noch möglich schien. Seine Stimme fand endlich den Weg zurück, wenngleich noch schwach und weinerlich: »Marie, es ist etwas Schreckliches passiert. In unserem Haus liegt eine Frau, tot. Ich kenne sie nicht, hab sie nie gesehen. Sie lag heute Morgen im
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