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Tod einer Göttin (Vera-Lichte-Krimi) (German Edition)

Tod einer Göttin (Vera-Lichte-Krimi) (German Edition)

Titel: Tod einer Göttin (Vera-Lichte-Krimi) (German Edition)
Autoren: Carmen Korn
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Pit.
    „Sie will, dass ich auf ein paar alte Fotografien gucke.“
    „In deiner Eigenschaft als Fotograf?“, fragte Pit.
    „Eher als Freund der Familie“, sagte Nick und fühlte sich froh dabei, „alte Fotos von ihrem Vater.“
    Pit Gernhardt stieg die letzten zwei Treppen hoch und ging durch die offen stehende Wohnungstür in Nicks Küche. Nick stellte gerade die Espressokanne auf den Herd. Er musste sie vorher schon gefüllt haben.
    „Kriegst noch einen Kaffee dazu“, sagte er, „und das letzte Stück von Annis Stollen.“
    Pit setzte sich an den Lindenholztisch, auf dem schon so viel Beweismaterial gelegen hatte. Fotografien von toten Frauen. Die Dossiers des kleinen Bob.
    Nick stellte den Zuckertopf darauf, zwei Tassen, einen Teller mit einem Kantstück Stollen. „Was ist nun mit dem Schnaps?“, fragte er. „Vielleicht als Corretto?“
    Als Corretto hörte sich ein Schnaps vor zwölf Uhr mittags ganz gesittet an. Fast schon eine Mahlzeit. Nick holte die brodelnde Kanne vom Herd und goss den Espresso ein. Nahm eine Grappaflasche vom Küchenschrank und gab einen ordentlichen Schuss Grappa in die Tassen. Ließen sich kaum noch zum Munde führen, die kleinen Gefäße, randvoll mit wohlriechender Flüssigkeit. Zucker einrühren ging schon gar nicht mehr. Erst einmal abtrinken.
    „Ist das schon Alkoholismus, was wir hier tun?“, fragte Pit.
    „In den Kaffeebars in Bologna trinken sie bereits um sechs Uhr morgens Corretto“, sagte Nick der einmal in Bologna gewesen war. Doch dieser Besuch lieferte ihm seit Jahren Argumente. Die Trinkgewohnheiten der Italiener. Oder die der Franzosen, die laut Nick ein Wasserglas voll Rotwein tranken, ehe sie dem Tag überhaupt ins Auge blickten.
    Und allen tat es gut. Davon ging Nick aus.
    Es gab Dinge, die nicht einmal er hinterfragte.
    „Was ist Besonderes an den Fotos von Veras Vater?“
    „Vera kannte sie bis heute gar nicht. Anni hat sie in all den Jahren in ihrer eigenen Wohnung deponiert gehabt.“
    „Sind sie so brisant?“
    Nick hob die Schultern. „Er ist darauf mit einem Filmstar der fünfziger Jahre zu sehen, und die war wohl seine Geliebte.“
    „Ehebruch“, sagte Pit.
    „Das war vor der Ehe mit Veras Mutter, und die war ohnehin eine einzige Krise.“
    „Ruth Leuwerik“, sagte Pit, „ meine Mutter erzählte gern, dass sie sich ein Dutzend Mal ‚Liebling der Götter’ mit der Leuwerik angeguckt hat, als sie mit mir schwanger war.“
    „Hat nicht wirklich geholfen“, sagte Nick. „Oder?“
    „Nicht wirklich“, sagte Pit. Er griff nach dem Zuckertopf und fing an, viel Zucker in eine kleine Lache Kaffee zu rühren.
    Nick stand auf, um ihm noch mal nachzugießen.
    „Sei froh. Die Lieblinge der Götter sterben früh“, sagte er.
    Pit nickte. „Du willst los, nicht wahr?“
    Nick war schon im Flur und zog sich eine Holzfällerjacke an.
    „Du kannst gerne noch bleiben“, sagte er. „Zieh einfach die Tür hinter dir zu.“
    Er ging zu Pit und klopfte ihm auf die Schulter. Das tat er sonst nicht. Vielleicht lag es an der Jacke.
    „An was arbeitest du eigentlich?“, fragte er schon im Gehen.
    „Ein toter Obdachloser vor dem Vier Jahreszeiten.“
    „An was gestorben?“
    „An einem eingeschlagenen Schädel.“
    „Sag nicht, dass die Tatwaffe eine Schnapsflasche war.“
    Pit nickte und goss noch Grappa in die Tasse.
    „Hört sich sehr nach Klischee an“, sagte Nick.
    Und an was arbeitest du, hatte Pit noch fragen wollen, doch Nick war schon aus der Tür gegangen. Ihm blieb nur, auf den kleinen Küchenbalkon zu treten und über die erfrorenen Pflanzen hinweg Grüße an Vera hinunterzubrüllen und Nick nach dem vierten Startversuch in seinem alten Golf davon fahren zu sehen.
    Vera hatte die Fotografien auf das polierte Mahagoni des langen Esszimmertisches gelegt. Eine neben der anderen.
    Genau dazu eignete sich dieser Tisch. Um große Formate darauf auszulegen. Nicht, um daran zu essen.
    Das taten sie auch seit Nellys Auszug nicht mehr, und der war Jahrzehnte her.
    Die Atmosphäre dieses Zimmers hatte ohne Zweifel etwas Hochstaplerisches. Vielleicht, weil Vera sich so gut daran erinnerte, wie Anni hier hatte servieren müssen. Mit weißen Handschuhen und Häubchen. Herumgejagt von Nelly.
    In der Küche ist es doch gemütlicher, hatte Gustav gesagt, kaum, dass seine Frau auf und davon war.
    Hätte er es nicht Jahre früher sagen können?
    Die Feigheit der Männer.
    Die Fotografien waren in der Tat großformatig. Vierundzwanzig mal dreißig.
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