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Tochter des Drachen

Tochter des Drachen

Titel: Tochter des Drachen
Autoren: Ilsa J.Bick
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seufzende, traurige Weinen eines verletzten Herzens.
    Jetzt wird es schwierig, denn der Traum schiebt sich in den Vordergrund, und ich kann zwischen ihm und meiner Erinnerung nicht mehr unterscheiden.
    Erst liege ich im Bett. Traum oder Wirklichkeit? Ich weiß es nicht. Mein Zimmer ist sehr dunkel, und ich bin mitten im tiefen, traumlosen Schlaf der Kindheit, als mich etwas aufweckt und zurück ins Bewusstsein zerrt. Ich höre Geräusche. Hastig. Wütend.
    Dann ein Sprung, wie in einem fehlerhaften Holo-vid. Ich bewege mich auf einen schrägen Streifen gelbes Licht in der Dunkelheit zu. Jetzt blicke ich durch den Spalt in die Küche, in der meine Eltern nicht miteinander reden. Es ist, als wären sie erstarrt, aber winzig und sehr weit entfernt, etwa so, wie man es durch ein verkehrt herum gehaltenes Fernrohr sähe. Mein Vater, groß und stolz, in einem tiefschwarzen Ganzkörperanzug, die Schwerter in einen rubinroten Obi gesteckt, die schwarzen Augen entschlossen funkelnd. Sein energisches Kinn wirkt entschlossen und gnadenlos. Und meine Mutter, reglos wie ein Standbild, die braunen Augen glühend, die Halsmuskeln so gespannt wie die Saiten einer Harfe.
    Dann bin ich draußen, so lautlos wie ein Schatten. Ich kann meinen Vater kaum erkennen. Er ist wie eine aus der Nacht geschnittene Silhouette, so substanzlos wie die Luft. Es ist kalt, ich zittere. Ich habe eine Gänsehaut auf den Armen. Der Kies sticht in meine bloßen Fußsohlen, und es tut weh. Ich wünsche mir, ich hätte daran gedacht, die Sandalen anzuziehen, oder wenigstens Socken.
    Noch ein Sprung: kühles, taufeuchtes Gras huscht unter meinen Füßen vorbei. Es klingt wie Sandalen auf einem Teppich. Hohe, gerade Bäume ringsum. Ich kauere hinter ... einem Felsen? Einer Wand? Meine Finger gleiten über etwas Kaltes, Hartes. Meine Knie sind feucht vom Tau.
    Vor mir sind Männer: alle in schwarzen Ganzkörperanzügen, das Gesicht maskiert, alle mit den beiden Schwertern eines Samurai. Ich erkenne meinen Vater an seinen Umrissen: quadratisch, solide. Stolz. Aber ich erinnere mich an - oder sehe in Träumen -auch noch zwei andere links und rechts von ihm. Ich kenne sie nicht, kann ihre Gesichter nicht sehen. Doch in meiner Brust regt sich Angst.
    Gefahr!, schreit mein Geist, und dann ein geflüstertes Blut und Feinde.
    Der Kreis teilt sich wie ein Vorhang, und obwohl es Nacht ist, sehe ich alles so klar wie am hellen Tag. Dort in der Mitte kniet ein Mann in einem lockeren weißen Kimono. Das silber graue Haar trägt er im komplizierten Mitsu-Ori-Dutt der alten Samurai, und ich erkenne ihn auf den ersten Blick: Onkel Kan. Kein wirklicher Verwandter, aber der beste Freund meines Vaters: ein Mann, der Akira Tormark - O5S-
    Agent, Adliger, Samurai - nachfolgte, als mein Vater für Devlin Stones Traum das Kombinat verließ. Onkel Kan kniet auf einer schwarzen Tatami, und er bedeutet den anderen, sich zu setzen. Mehrmals. Sie knien ebenfalls und essen Reis und eingelegtes Gemüse aus Porzellanschalen. Ich weiß mit absoluter Sicherheit, dass ihre Stäbchen aus Anis sind, ebenso sicher, wie ich weiß, dass jeder der drei Männer drei Scheiben Gemüse auf dem Reis hat. Mikire: drei Portionen. Geschnittene Haut.
    Es steht ein Tablett da mit einem Sake-Krug und einer einzelnen blauen Trinkschale. Mein Vater schüttet sorgfältig zweimal von links mit der l ink en Hand ein und füllt Onkel Kans Schale, die der Onkel zweimal in je zwei Schlucken leert. Zwei plus zwei ergibt Shi. Tod.
    Noch ein Sprung: Jetzt ist da das Sambo-Tablett mit Onkel Kans Kazuka. Die Klinge ist bis auf die letzten zwei Zentimeter in Papier eingeschlagen. Der Onkel greift nach dem Tablett, sein Kimono fällt auf. Er hält das Kazuka in der Hand ...
    Und dann - schneidet er. Nein, er schneidet nicht. Er reißt. Zerfetzt. Grunzt vor Schmerz, die Zungenspitze zwischen den weißen Zähnen. Von links nach rechts trennt er seinen Bauch auf, und plötzlich bedeckt schwarzes Öl seine Hände, seine Klinge, seine Haut, seinen Kimono. Nur ist es kein Öl. Ich weiß, dass es kein Öl ist. Ich reiße den Mund auf, aber kein Laut dringt heraus. Die Zeit steht still. Und der Traum - die Erinnerung? - verlangsamt sich zu jenem
    Albtraumschleichen, wenn man genau weiß, das Ungeheuer ist unmittelbar hinter einem, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis es zuschlägt.
    Irgendwie ist der Onkel noch immer bei Bewusstsein. Er schreit nicht. Er grunzt nur, und dann zischt er, als die Klinge stecken bleibt. Mein Vater
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