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Tochter des Drachen

Tochter des Drachen

Titel: Tochter des Drachen
Autoren: Ilsa J.Bick
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her wie ein toter Wurm. Aus einem Impuls heraus drückte er einen Kuss auf die kalten Lippen des Agenten. Seine Zunge spielte über die harten, unregelmäßigen Zähne und er stellte fest, dass der Mann einen Überbiss gehabt hatte.
    »Armer Yorick«, sagte er mit einem Seufzen und zwinkerte dem Toten zu. »Ich kannte dich kaum.«
    Katana Tormarks Tagebuch 1. Oktober 3134, früher Morgen
    Als ich acht war, brachte mein Vater seinen besten Freund um. Als ich fünfzehn wurde, starb meine Mutter, und mit siebzehn habe ich meinem Vater gesagt, dass ich ihn nie wiedersehen wollte. Niemals. Also ging er, und das war es dann. Mehr oder weniger. Natürlich war es gelogen. Irgendwie wünschte ich mir, er wäre geblieben. Meine Mutter war Musikwissenschaftlerin, und nach der Trennung meiner Eltern - gleich nachdem mein Vater den Onkel getötet hatte - sind wir oft ins Kombinat gereist. Dort habe ich einen der wichtigsten Menschen in meinen Leben getroffen. Und ich habe eine Menge über das Kombinat erfahren. Wirklich viel, und ich hatte jede Menge Fragen an meinen Vater, die er nie beantworten konnte.
    Gleichzeitig war ich so eine Art Aushängeschild für die Republik: Ich beriet kleine Kinder, erwarb mein Bürgerrecht schneller als üblich, rettete Sir Reginald, reiste nach Northwind, wurde Duchess und dann Präfektin. Und die ganze Zeit über studierte ich gleichzeitig Bushido. Ich bin wirklich verdammt gut in Kendo Kata. Verflixt noch mal, ich bin eine bessere Samurai als mein Vater es war, und ... ich denke, Sie verstehen, was ich sagen will. Das Einzige, was noch fehlt, ist das Holovid: S ie kämpft ! S ie siegt ! U nd sie kocht ! Als wäre ich eine neue Art Küchenmaschine.
    Irgendjemand hat mal gesagt, tief in meinem Inneren müsste ich gewusst oder irgendwie erkannt haben, dass die Republik nicht meine wahre Heimat war, beziehungsweise dass ich mich in der Republik nie wirklich zu Hause fühlte.
    Suchen Sie es sich aus. Wahrscheinlich stimmt beides. Man braucht es sich ja nur mal durch den Kopf gehen zu lassen: Da ist also die Republik, und wir sind alle gehalten, einander zu lieben und uns nicht zu Gewalt und dergleichen hinreißen zu lassen. Und gleichzeitig trete ich hier einigen Leuten ganz gewaltig in den Arsch ... und werde dafür belohnt. Wenn Sie mich fragen, ist das schizophren.
    Und noch etwas. In dem Augenblick, als das HPG-Netz zusammenbrach, erkannte ich schlagartig, wie zerbrechlich diese ganze Konstruktion war. Eine Unzahl von Fraktionen und Planeten, verbunden durch ein Netzwerk von Fäden mit nicht mehr Substanz als Spinnweben. Ein harter Schlag, und das ganze Netz löst sich in Wohlgefallen auf, und plötzlich sind wir alle auf uns selbst gestellt.
    Gut, warum also tue ich das? Keine Ahnung ...
    Nein, das ist gelogen. Ich weiß, warum. Ich träume viel darüber, und gelegentlich vermischen sich Erinnerung und Traum: ein Holovid, das in einer Endlosschleife in die Dunkelheit meines Hirns projiziert wird, und es gibt keinen Abstellknopf.
    Ich erinnere mich an einen Frühsommer, an das Zirpen der Grillen und das Knirschen ihrer Schalen unter meinen Füßen. Ich bin acht. Wir sind auf Ancha, wo ich geboren wurde. Ich erinnere mich, oder vielleicht träume ich es auch - das macht keinen Unterschied: Meine Mutter und ich hatten allein zu Abend gegessen. Mein Vater, Akira, war geschäftlich unterwegs, und ich wusste, dass irgendetwas nicht st imm te. Meine Mutter spielte mit ihrem Essen, schob mit den Essstäbchen Reisklumpen hin und her, so wie ich es tat, wenn sie etwas gekocht hatte, was ich wirklich hasste. Am schlimmsten war gekochter Tintenfisch. Diese Tentakel... Hinterher spielte sie Shakuhachi. Obwohl sie keine Kombinatsbürgerin war, war meine Mutter ganz verrückt nach allem Japanischen. Das Instrument hatte es ihr wegen der Honkyoku angetan, der Zen-Meditationsmusik. Meine Mutter ist nun seit fast zwanzig Jahren tot, aber ich sehe ihre Hände immer noch vor mir, eine Haut wie Milchschokolade, und die langen, schlanken Finger auf der alten Bambusflöte. Ihr Shakuhachi war rot lackiert, mit Urushi und Cashew, einem Löwen als schwarzer Pinselzeichnung und feinster Kan-ji-Kalligraphie. Die Schriftzeichen bedeuteten >Lö-wenherz<. Wenn meine Mutter spielte, konnte man nicht sagen, wer da auf wem spielte, ob das Instrument die Traurigkeit aus dem Herzen meiner Mutter lockte oder einfach Tragik atmete. Die Zen-Meister sagen, Shakuhachi sei Musik der Seele, und das höre ich in meinem Geist: das
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