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Titan 11

Titan 11

Titel: Titan 11
Autoren: Ben Bova , Wolfgang Jeschke
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einer schnellen Handbewegung schüttelte Kleph den Ärmel wieder über die Narbe. Ihr gebräuntes Gesicht rötete sich, und sie vermied es, Oliver anzublicken. Ein seltsames Schamgefühl schien sie befallen zu haben.
    »Was soll das?« sagte Oliver taktlos. »Was hat das zu bedeuten?« Sie blickte ihn immer noch nicht an. Viel später erst verstand er diese Scham und begriff, daß sie allen Grund dazu hatte. Doch nun hörte er lediglich zu, wie sie sagte: »Nichts… überhaupt nichts. Ein Impfmal. Wir alle… oh, grübeln Sie nicht darüber nach. Lauschen Sie der Musik.«
    Diesmal holte sie mit dem anderen Arm aus. Sie faßte nichts an, doch als sie mit der Hand die Wand fast erreicht hatte, erklang ein Geräusch im Zimmer, das sich wie das Plätschern von Wasser anhörte, das Auflaufen von Wellen auf einen langen, flachen Strand. Oliver folgte Klephs Blick zu dem Bild mit den blauen Wellen über dem Bett.
    Die Wogen dort bewegten sich. Mehr noch, auch die Perspektive des Betrachters schien sich zu verändern. Langsam glitten die Wellen der See auf das Ufer zu. Halb hypnotisiert folgte Olivers Blick der Bewegung, die er zu dieser Zeit als durchaus natürlich und keineswegs überraschend empfand.
    Die Wogen stiegen hoch, wurden zu rollenden Schaumkronen gebrochen und glitten einen Sandstrand hinauf. Dann begann durch das Getöse der Wellen Musik zu ertönen, und im Wasser erschien das Gesicht eines Mannes zwischen den Rahmen und lächelte ins Zimmer herein. Er trug ein seltsam archaisches, lautenähnliches Musikinstrument in den Händen; sein Körper schimmerte hell und dunkel wie eine Melone, und sein langer Hals war über die Schulter zurückgebogen. Er sang, und Oliver wurde von dem Lied tief berührt. Es war gleichzeitig sehr bekannt und sehr seltsam. Oliver tastete sich durch den unvertrauten Rhythmus und war schließlich imstande, die Melodie zu erfassen – es war »Make‐Believe« aus »Showboat«, aber sicherlich war dieser Dampfer nie den Mississippi hochgetuckert.
    »Was macht er da?« fragte Oliver nach ein paar Momenten des konzentrierten Lauschens. »Ich habe noch nie so etwas gesehen!«
    Kleph lachte und streckte ihren Arm wieder aus. Orakelhaft sagte sie: »Wir nennen es Kyling. Aber das ist egal. Wie gefällt Ihnen das?«
    Ein Komiker, ein Mann in clownähnlichem Make‐up mit so riesig vergrößerten Augen, daß sie sein halbes Gesicht zu verdecken schienen, stand neben einem breiten Glaspfeiler vor einem dunklen Vorhang und sang ein lebhaftes, lautes Lied, das er aus dem Stegreif zu spielen schien, während er mit den Fingernägeln der linken Hand Trommelwirbel dazu auf den Glaspfeiler klopfte. Während seines Liedes umkreiste er den Pfeiler immer wieder, und der Rhythmus seiner Fingernägel verschmolz mit dem Lied, erzeugte neue Melodien, die mit den alten übergangslos verschmolzen.
    Ihnen zu folgen, war äußerst verwirrend. Noch weniger Sinn als die Melodie ergab allerdings der Text, der von einem verlorenen Pantoffel berichtete und Anspielungen enthielt, die Kleph lächeln ließen, Oliver allerdings gänzlich unverständlich waren. Der Mann hatte eine trockene, harte Stimme, die Oliver nicht allzu hoch einschätzte, obwohl Kleph von ihr fasziniert zu sein schien. Oliver bemerkte, daß sein Auftritt von einem ähnlichen Selbstvertrauen bestimmt war, wie er es bei den drei anderen Sanciscos auch schon bemerkt hatte. Eindeutig ein rassischer Zug, dachte er.
    Andere Auftritte folgten, einige davon fragmentarisch, als habe man sie aus einem größeren Zusammenhang herausgerissen. Eine Darbietung war ihm bekannt. Die vertraute, ergreifende Melodie kam ihm wieder in Erinnerung, bevor er die Schauspieler sah – marschierende Männer vor einer Nebelwand, während ein großes Banner hinter ihnen im Rauch geschwungen wurde und im Vordergrund Gestalten weit ausschritten und rhythmisch riefen: »Vorwärts, vorwärts schreitet das Lilienbanner!«
    Die Musik klang blechern, die Gestalten schienen verwischt und farblos, doch Oliver fand Geschmack an der Aufführung, die seine Phantasie anregte. Er starrte auf das Bild, und langsam kam ihm die Erinnerung an einen alten Film wieder zurück. Dennis King und sein zackiger Chor sangen ›The Song of the Vagabonds‹ aus – war es ›Vagabond King‹?
    »Ein sehr, sehr altes«, sagte Kleph entschuldigend. »Aber ich mag es.«
    Der Dampf des berauschenden Tees wirbelte zwischen Oliver und dem Bild umher. Musik hob und senkte sich im Zimmer und dem wohlriechenden
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