Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Titan 11

Titan 11

Titel: Titan 11
Autoren: Ben Bova , Wolfgang Jeschke
Vom Netzwerk:
diese Geheimnisse – mir gefällt das nicht, Oliver. Auch diese Sanciscos – was haben sie heute unternommen?«
    Oliver lachte. »Heute morgen haben sie eine Stunde damit verbracht, Filmtheater in der Stadt anzurufen. Sie forschten nach einer Menge drittklassiger Filme, von denen sie Ausschnitte sehen wollten.«
    »Ausschnitte? Wieso das?«
    »Ich weiß nicht. Ich glaube… oh, nichts. Noch etwas Kaffee?«
    Der Ärger lag darin, daß er glaubte, es doch zu wissen. Die Vermutung war zu unwahrscheinlich, als daß er Sue etwas davon berichten könnte, und da sie nicht mit den Eigenheiten der Sanciscos vertraut war, würde sie nur glauben, Oliver verliere den Verstand. Aber aus ihren Gesprächsfetzen hatte er den definitiven Eindruck, daß in all diesen Filmen ein ganz bestimmter Schauspieler kleinere Rollen gehabt hatte, wegen denen sie bald vor Ehrfurcht erstarrten. Sie bezeichneten ihn als Golconda, doch das schien nicht sein richtiger Name zu sein, so daß Oliver keine Möglichkeit sah, herauszufinden, welchen obskuren Nebendarsteller sie so tief bewunderten. Golconda könnte der Name einer Figur sein, die er einmal gespielt hatte – und das mit äußerster Fertigkeit, wenn man den Kommentaren der Leute aus Sancisco Glauben schenken durfte – aber Oliver sagte er rein gar nichts.
    »Sie benehmen sich ziemlich komisch«, sagte er und starrte nachdenklich in seinen Kaffee. »Gestern kam Omerie – das ist der Mann – mit einem Gedichtband herein, der vor fünf Jahren erschienen ist, und sie alle behandelten ihn wie eine Erstausgabe von Shakespeare. Ich habe noch nicht einmal von dem Autor gehört, doch in ihrem Land, wo immer das auch sein mag, scheint er eine Art literarischer Gott zu sein.«
    »Du weißt es immer noch nicht? Haben sie denn noch nicht einmal Hinweise auf ihre Heimat verlauten lassen?«
    »Wir sprechen nicht viel miteinander«, erinnerte Oliver sie mit leichter Ironie.
    »Ich weiß, aber… hm, nun, ich glaube, das ist auch egal. Erzähl weiter, was tun sie sonst noch?«
    »Nun, diesen Morgen verbringen sie damit, ›Golconda‹ und seine große Kunst zu betrachten, und ich glaube, heute nachmittag unternehmen sie eine Tour den Fluß hinauf zu irgendeinem Schrein, von dem ich noch nie gehört habe. Der Geburtsort eines großen Mannes, glaube ich – sie haben versprochen, Andenken von diesem Ort mit nach Hause zu bringen, wenn sie welche bekommen können. Na gut, sie benehmen sich wie typische Touristen, aber wenn ich nur herausbekommen könnte, was hinter der ganzen Sache steckt. – Das ergibt doch alles keinen Sinn.«
    »Nichts an diesem Haus ergibt mehr einen Sinn. Ich wünschte…«
    Sie sprach mit verdrießlicher Stimme weiter, doch Oliver hörte ihr plötzlich nicht mehr zu, da draußen vor der Tür eine bekannte Gestalt mit anmaßender Eleganz auf ihren hohen Absätzen vorbeiging.
    Ihr Gesicht sah er nicht, doch er glaubte, er würde diese Haltung, diese gleitenden Bewegungen überall auf der Erde wiedererkennen.
    »Entschuldige mich eine Minute«, stieß er hervor und war von seinem Stuhl aufgesprungen, bevor Sue etwas entgegnen konnte. Mit einem halben Dutzend langer Schritte hatte er die Tür erreicht, und die wunderschöne elegante Passantin war nur ein paar Schritte entfernt. Er stieß ein paar Worte hervor, die er schnell überlegt hatte, doch schwieg er dann und stand gaffend da.
    Es war nicht die rothaarige Frau. Es war auch nicht ihre dunkle Gefährtin. Es war eine Fremde. Sprachlos beobachtete er, wie die liebliche, arrogante Frau durch die Menge schritt und verschwand, sich bewegend mit vertrauter Gestik und Sicherheit und ebenso vertrauter Fremdartigkeit, als ob das schöne und hervorragend sitzende Kleid, das sie trug, für sie ein exotisches Kostüm sei. All dies hatte er an den Frauen aus Sancisco bemerkt. Alle anderen Frauen auf der Straße sahen blaß und farblos und krank neben ihr aus. Sie schritt einher wie eine Königin, verschmolz mit der Menge und war verschwunden.
    Sie kam aus ihrem Land, sagte Oliver sich verwirrt. Also hatte noch jemand mysteriöse Mieter in diesem Monat des perfekten Mai‐Wetters. Noch jemand brütete heute vergeblich über die Fremdartigkeit der Leute aus dem namenlosen Land.
    Schweigend kehrte er zu Sue zurück.
    In der braunen Düsternis des oberen Stockwerks stand die Tür einladend offen. Oliver verlangsamte seine Schritte, als er ihr näher kam, und sein Herz begann schneller zu schlagen. Es war das Zimmer der rothaarigen Frau, und er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher