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Tiefes Land

Tiefes Land

Titel: Tiefes Land
Autoren: Carsten Steenbergen
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Monate länger gewachsen waren, als man sie im Militärdienst üblicherweise trug, und den gepflegten Koteletten, die das Gesicht des gut dreißig Jahre alten Mannes umrahmten, hätte man ihn glatt für einen Surfer halten können. Wenn man sich den Anzug wegdachte und ihn sich stattdessen in Shorts und Hawaii-Hemd vorstellte.
    Über der linken Braue zog sich halb verdeckt eine helle Narbe. Das Souvenir eines turbulenten Einsatzes bei As Samawah im Iraq, von vor vier Jahren.
    Willem van den Dragt war Spezialist für Ermittlung und Aufklärung von terroristischen Hintergründen und Aktivitäten. Er diente beim MIVD und unter dem Befehl von Kolonel Henk Molen seit der Reform von 2002, die aus dem ehemaligen Military Intelligence Service einen Dienst für alle Einheiten der Defensie formten. Sei es Landmacht, Luchtmacht, Marine oder General Intelligence.
    Die Bürotür öffnete sich nach einem höflichen Anklopfen erneut und Elsie trat mit einem Tablett ein, auf dem zwei Kaffeetassen, Zucker und Milch, sowie eine gefüllte Kanne standen.
    Am Schreibtisch lud sie ab und goss dem Kolonel, dann Willem eine Tasse ein. Anschließend ließ sie die beiden Männer allein. Nach einem ersten tiefen Schluck lehnte sich Henk Molen in seinem Sessel zurück.
    »Nun erzähl schon, mein Junge. Wie war der Urlaub?«
    »Wie Urlaube halt so sind«, winkte Willem beiläufig ab. »Viel Sonne, viel Strand, ein gutes Buch. Das Übliche.«
    »Das Übliche? Kein Abenteuer oder wenigstens eine Eroberung zu vermelden? Das sieht dir überhaupt nicht ähnlich.«
    Willem zuckte wortlos mit den Achseln. Fast automatisch wanderte sein Blick zu dem Emblem hinauf, das an der Wand über dem Schreibtisch angebracht war. Das Wappen des MIVD: Eine Sphinx mit vier gekreuzten Schwertern, alles mit einem Riemen umschlossen.
    Meritum in Veritatem Discernendo – Verdienst liegt im Erkennen der Wahrheit. Die Sphinx in der Mitte des Wappens symbolisierte die Weisheit des MIVD. Die vier gehobenen Schwerter standen dabei für die vier Abteilungen der Defensie, der niederländischen Verteidigungsarmee, der Riemen für die Verbundenheit des Geheimdienstes. Der Kolonel gab ein ungeduldiges Schnauben von sich, doch Willem ließ sich nicht anmerken, ob er es mitbekommen hatte. Er löste den Blick von der Sphinx und sah seinen Vorgesetzten direkt an. Schließlich überzog ein leises Grinsen seine Züge.
    »Na ja, wie man es nimmt.«
    Der Kolonel lachte, wurde dann aber wieder ernst. »Gut zu wissen, dass du dich nicht unterkriegen lässt.«
    Willems Lächeln verflog so schnell, wie es gekommen war.
    »Hör mal, Henk. Genau darüber wollte ich mit dir reden. Es stinkt mir gewaltig, den Laden hier verlassen zu müssen. Du weißt, wie viel es mir bedeutet, beim MIVD zu arbeiten. Die Strafversetzung ... Kannst du nicht noch einmal ...«
    »Nein, Willem«, unterbrach ihn Henk kopfschüttelnd. »Dazu ist es zu spät. Du hättest einfach früher auf mich hören und deine Eskapaden etwas einschränken sollen. Auch mir sind irgendwann die Hände gebunden. Deine Versetzung zum AIVD war alles, was ich aus der Angelegenheit herausholen konnte, glaube mir.«
    Willem setzte die Tasse mit einem lauten Klirren auf den Unterteller. Beinahe anklagend stand er auf, legte die Glock 17 samt Halfter ab und warf sie auf den Schreibtisch. Die Waffe polterte auf die Platte und rutschte bis zur Kante, wo sie direkt vor Henk Molen liegen blieb.
    »Die brauche ich wohl nicht mehr.«
    »Willem, nun sei doch vernünftig ...«
    Der Kolonel überlegte eilig, was er noch sagen konnte, schwieg aber dann, als er sah, dass Willem das Büro bereits verlassen hatte. Das Scheppern der zugeworfenen Tür hallte wie ein Paukenschlag durch das Vorzimmer und ließ Elsie hinter ihrem Schreibtisch erschrocken zusammenzucken.

04:33 Uhr, 04. Mai, Club »Level Y«, Prinsengracht, Amsterdam

    Laut dröhnten die Bässe aus über drei Meter hohen, schwarzverhangenen Boxen direkt neben der Tanzfläche. Die üppigen Drum-’n’-Bass-Beats ließen die feinen Härchen auf Adrian Frisbergs Unterarmen im stampfenden Rhythmus mitzittern.
    Mit seinem studentischen Outfit, das er zumeist tagsüber trug - einem hellblau gestreiften Business-Hemd, dem beigefarbenen Cordjackett und der gerade geschnittenen Jeans, mit dem er den Professoren und seinen Eltern einen soliden Eindruck vermitteln wollte - fühlte er sich inmitten der ausgelassen Feiernden ziemlich deplatziert. Leider, fügte Adrian in Gedanken hinzu. Die Level Y-Partys
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