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Thennberg oder Versuch einer Heimkehr

Thennberg oder Versuch einer Heimkehr

Titel: Thennberg oder Versuch einer Heimkehr
Autoren: Gyoergy Sebestyen
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einziger mit gelblicher Haut überzogener Knorpel, flink, überheblich, neugierig auf jede Einzelheit; denn Gott lebt nicht im en gros, Gott lebt im Detail, hat schon Goethe gesagt, sagte Phoebus Silbermann und fügte hinzu: Na ja, wenn er lebt. Ein Abend wie aus Teer. Jemand hatte mit den Schweinereien begonnen, mit einer langen Geschichte, in der das zwar etwas wabbelige, aber doch schön gerundete und jedenfalls übergroße Hinterteil einer verwitweten Gemüsehändlerin die Hauptrolle spielte, und dann war eine zweite Stimme emporgegluckst aus der fett auf den Brüsten lastenden Dunkelheit, Schenkel schimmerten plötzlich so hell wie das alabasterfarbene Glas der Kirchenfenster, leuchteten, spreizten sich, in der Winkelung tat sich ein behaarter Trichter auf, der all die Sehnsüchte einsog, und endlich redete eine dritte Stimme, sie redete über Helene, eine Stimme, der er zugehört hatte, als wär’ sie nicht die eigene Stimme gewesen. Phoebus Silbermann hatte nach Einzelheiten gefragt. Da hatte er, zuerst noch stotternd und nach passenden Wörtern suchend, und dann aber ganz genau, die Brüste beschrieben, birnenförmige Brüste mit Brustwarzen, die aussahen wie ein schielendes Augenpaar, feste Oberarme, dichtes dunkles Haar in den Achselhöhlen, das denselben Geruch hatte wie die Behaarung des Geschlechts, das an einen Mädchenmunderinnerte, an den lächelnden Mund eines ganz jungen Mädchens, doch hielten die an den Innenseiten dicklichen Schenkel dieses Lächeln verborgen, ein Lächeln übrigens, das Helenes Lippen nicht zustande brachten, denn diese waren im Kuss zwar aufschwellend, sonst aber dünn, harte Lippen in einem strengen Gesicht; zwischen diesem Gesicht und dem Unterleib hatte es eine seltsame Disproportion gegeben, eine Art Feindschaft: Der vibrierende Körper hatte bei jedem Schritt, bei jeder Bewegung, in jedem Augenblick, sogar im Halbschlaf noch gegen das starre, beinahe bereits verhärmt wirkende Gesicht rebelliert – so irgendwie hatte er sie beschrieben, Helene, obwohl er nicht mehr recht gewusst hatte, wie sie wirklich gewesen war, sie, nach den sülzernen Phantasiebildern des Onanierens seine erste Geliebte.
    In Wirklichkeit hatte er damals, in Thennberg, im Doppelbett des Vitus Wallach, unter dem Öldruck, auf dem Jesus Christus in weißem Hemd und blauem Überwurf auf dem Ölberg bei Mondschein zu sehen war, die Form ihrer Brüste nicht wahrgenommen und nicht das Haar ihrer Achselhöhlen. Wenn er während der Anfälle der Wollust überhaupt etwas wahrgenommen hatte, dann war es die eigene Gier und das eigene Keuchen und die Angst vor der eigenen Courage, diese entsetzliche Keuschheit des eigenen Körpers gewesen; was er wahrgenommen hatte, war vor allem die eigene Verblüffung über die völlige Schamlosigkeit seiner Geliebten, die so ruhig wirkte, gewissenhaft und sachlich, die mit hausfraulichen Bewegungen die schwere Daunendecke beiseiteschob, die Bluse ablegte und den Rock, hausmütterlich das Unterkleid ablegteund den Schlüpfer, und endlich sich selbst hinlegte auf das nicht mehr ganz saubere Leintuch, da lag sie, wartete regungslos, nüchtern, in dieser Nüchternheit wie erstarrt – so sah sie aus, die Wirklichkeit, sah sie wirklich so aus? Er sah das Bild in der Mitte eines glasklaren Eisblocks, und sah dann wieder ein anderes Bild und dann ein drittes, dreimal Helene, das erste Mal, wie sie auf dem Bett gelegen war, ruhig, unter dem Öldruck, das zweite Mal, wie er sie auf Wunsch des Phoebus Silbermann beschrieben hatte (der kam später nach Auschwitz, kam dort zu einer Gruppe, die aus den Baracken der Frauen die neugeborenen oder bis dahin versteckten Säuglinge abholte und auf einem Karren abtransportierte – Adalbert Friedländer hatte ihn dort mit eigenen Augen gesehen), und nun, da das alles wieder emporgetaucht war, spielend ins innere Licht gehoben, ein Körper zum Spielen, nun hatte Helene auch noch einen dritten Körper, einen, der nicht mehr umgeben war von Geheimnissen, kein Ziel der Hoffnungen mehr, frei von Wollust; es war ein Körper wie jeder andere Körper, ein Gebilde aus zittrigem Fleisch, ein aus feinster Haut seltsam geformter Sack, der gebogene und gerade Knochen umhüllte, sinnlos sich verkrampfende und wieder lockernde Muskeln, weiche Organe. Der Rücken erinnerte an einen schmalen Sarg, in dem etwas lag, das noch lebte. Vielleicht war Helene durch eine Bombenexplosion oder durch ein verirrtes Geschoß oder an einer Krankheit gestorben: Erst als er
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