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The Dead Forest Bd. 1 Die Stadt der verschwundenen Kinder

The Dead Forest Bd. 1 Die Stadt der verschwundenen Kinder

Titel: The Dead Forest Bd. 1 Die Stadt der verschwundenen Kinder
Autoren: O'Brien Caragh
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daran«, fügte sie hinzu.
    »Wie alt warst du?«, fragte er.
    Sie legte ihr Gesicht schief und sah ihn an. »Zehn Monate.«
    »Du konntest mit zehn Monaten schon laufen?«, fragte er.
    »Anscheinend nicht sehr gut«, erwiderte sie trocken.
    Er sagte nichts, und wieder wartete sie darauf, dass er die Hand auf den Türknauf legte. Sie wusste genau, was er dachte. Weil sie vernarbt war, hatte sie nie eine Chance gehabt, zur Enklave vorgebracht zu werden. In gewisser Weise war ihr Fall das perfekte Beispiel dafür, weshalb es besser war, die Babys binnen weniger Stunden zu übergeben. Vor Jahren pflegte man die Kinder noch ihr erstes Lebensjahr bei der Mutter zu lassen, doch die Mütter wurden immer unachtsamer, und die Kinder verletzten sich oder wurden vor den Zeremonien zum zwölften Monat krank. Mit dem jetzigen Quotensystem bekam die Enklave gesunde, wohlbehaltene Babys noch am Tag der Geburt, und die Mütter konnten wieder schwanger werden, wenn es das war, was sie wollten.
    Für Gaia hatte ein Unfall gereicht, ihr ein Leben in Armut zu bescheren, außerhalb der Mauer, ohne Bildung, ohne Aussicht auf gutes Essen oder Vergnügungen oder schwärmerische Freundschaften, während die Mädchen ihres Alters, die man vorgebracht hatte, nun in der Enklave waren, wo es grenzenlos Essen, Elektrizität und Bildung für alle gab. Sie trugen wunderschöne Kleider, träumten von reichen Ehemännern, lachten und tanzten. Gaia hatte sie einmal gesehen, als sie noch ein Kind gewesen war. Die Schwester des Protektors hatte Hochzeit gefeiert, und aus diesem Anlass hatte man den Einwohnern Wharftons einen Tag lang Zugang zu einer abgeschirmten Straße innerhalb der Enklave gewährt. Die Musik, die Schönheit, der Reichtum und die Farben, neben denen die Tvaltarsendungen verblassten, schienen Gaia heute wie ein wunderbarer Traum.
    Sie würde dafür sorgen, dass die Babys in ihrer Verantwortung die Chance erhielten, die sie selbst nie gehabt hatte, zumindest jene glücklichen drei jeden Monat. Wenn das übrige halbe Dutzend Babys nicht vorgebracht wurde, dann war das ihr Schicksal. Sie würden das Beste aus ihrem Leben in Wharfton machen, so wie Gaia es auch getan hatte.
    Sie hatte keine Ahnung, ob ihr Gesicht den Gang ihrer Gedanken verriet, aber Sergeant Grey beobachtete sie immer noch auf seine aufmerksame, erwartungsvolle Art.
    »Ich bin froh, der Enklave zu dienen«, sagte sie schließlich.
    »So wie ich«, antwortete er.
    Dann drehte er sich um, und sie sah, wie sich seine Finger um den Türknauf schlossen. Einen Moment später klappte die Tür, und sie war allein in ihrem Haus. Das Feuer flackerte im Luftzug, erhellte das Banjo ihres Vaters mit seinen stillen Saiten und führte ihr in aller Deutlichkeit vor Augen, dass ihre Eltern nicht mehr da waren.

3
    Rapunzel
    Nachdem Gaia den Teekessel und die Tassen gereinigt sowie den Tee und die Kräuter, die sie Agnes Lewis gegen die Schmerzen gegeben hatte, ersetzt hatte, richtete sie sorgfältig ihre Tasche her, damit sie immer bereit war, wie ihre Mutter es sie gelehrt hatte. Als Nächstes rückte sie alles zurecht, was der Wachmann bei seiner Durchsuchung in Unordnung gebracht hatte, und versuchte, das kleine Haus wieder zu ihrem Zuhause zu machen. Selbst die beiden gelben Kerzen auf dem Kamin, die sie jeden Abend im Gedenken an ihre Brüder entzündeten, waren von ihren gewohnten Plätzen verrückt worden, wenn auch nur ein paar Millimeter. Trotz der neuerlichen Ordnung hielt ihr unbehagliches Gefühl an, und als sie sich im Sessel ihres Vaters vor den letzten Funken des Herdfeuers zusammenkauerte, konnte sie sich nicht recht entspannen. Mit der sanften Wärme drang Müdigkeit in ihre Glieder, doch der Schlaf wollte sich nicht einstellen.
    Ein leises Klopfen kam von der Hintertür. Sie richtete sich auf. »Wer ist da?«
    »Ich bin’s. Theo. Amy schickt mich, um nach dir zu sehen.«
    Sie öffnete die Tür, und Theo Rupp trat ein, die Arme weit ausgebreitet. »Haben sie dir Angst gemacht?«, fragte er.
    Gaia warf sich ihm dankbar entgegen und seufzte tief, als seine starken Arme sie umschlossen. Der Töpfer roch nach Ton und Staub wie immer und tätschelte ihren Rücken mit schwerer Hand. Sie nieste. »Ist ja gut«, sagte er und ließ sie los. »Warum kommst du nicht mit rüber und bleibst heute Nacht bei Amy und mir?«
    Gaia ging zurück zum Feuer und warf einen neuen Scheit hinein. »Nein«, sagte sie, nahm sich einen Stuhl und wies ihm den bequemeren Sessel ihres Vaters zu.
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