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Tharsya. Die Rückkehr der roten Drachen

Tharsya. Die Rückkehr der roten Drachen

Titel: Tharsya. Die Rückkehr der roten Drachen
Autoren: Ruth M. Fuchs
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denn wenn Lumiggl nervös war – und wie nervös er heute war! – dann rettete er sich gern in die zahlreichen Legenden und Lieder über die Großtaten seiner Vorfahren, die er alle auswendig kannte und gern zum Besten gab, solange bis sich seine Nervosität besserte, was dauern konnte – sogar schon mal das ganze 143 Strophen zählende Epos von der großen Schlacht lang, in dem auch sein Urgroßvater dreimal erwähnt wird und eine ganze Strophe über eine führende Rolle spielt. Er wollte ja auch niemanden langweilen – nicht jeder teilte seinen Sinn für Geschichte.
    In eben jener Schlacht hatte dieser Schild seine Beulen und Scharten davon getragen. Und obwohl er von Generation zu Generation weitergereicht, wie eine Reliquie verehrt, in Ehren gehalten und mit Hingabe blank poliert wurde, hinderte das Lumiggl nicht, ihn als Spiegel zu gebrauchen. Wenn er ihn schon besser nicht mitnahm, konnte er ihm wenigstens anders weiter helfen, und so drehte sich unser nervöser Wombling hin und her, bis ihm sein Bild von
    allen Seiten zufrieden genug stellte. Jawohl! Er war ein stattlicher Wombling – für seine Größe auf jeden Fall – und jawohl, er konnte sich sehen lassen. Und gerade heute war es so wichtig, dass er eine gute Figur machte. Schließlich feierte Milvola heute ihren 111. Geburtstag.
    Ach, Milvola. Hinter diesem Namen steckte war ein bildhübsches Womblingmädchen, mit lebhaften Augen und Haaren, so rotbraun wie Kastanien – zumindest soweit man das nach den zwei Zopfenden beurteilen konnte, die unter der weißen Mädchenhaube hervorlugten, die eigentlich eher einer Mütze ähnelte mit einem langen, daran genähten Tuch, das bis weit in den Rücken herabfiel. Für Womblingverhältnisse galt Milvola als schlank und zierlich – und kleiner als Lumiggl. In seinen Augen war das enorm wichtig. Und keine Womblinga trug ihr Kleid so adrett wie Milvola; keine konnte sich mit ihr vergleichen, wenn sie lachte, was sie viel und gern tat. Heute wurde sie also volljährig, durfte die Mädchenhaube absetzen, allein tanzen gehen, Ausflüge machen und überhaupt alles machen, was sie wollte – soweit Sitte und Anstand es zuließen natürlich. Sie war jetzt in heiratsfähigem Alter. Zufälligerweise zählte sie ziemlich genau elf Jahre weniger als Lumiggl, was unter Womblingen als idealer Altersunterschied zwischen Mann und Frau galt. Lumiggl Farnwedel hatte nun in letzter Zeit immer häufiger festgestellt, dass Gesellschaft in seiner Höhle, bevorzugt die Gesellschaft eines gewissen Womblingmädchens, etwas sehr angenehmes sein müsste. Er wollte deshalb unbedingt als erster bei dem hohlen Baum sein, den Milvola mit ihren Eltern bewohnte. Wenn er ihr als erster gratulierte, würde ihm das bestimmt das Wohlwollen der Womblinga – und nicht zu vergessen ihrer Eltern – eintragen.
    Ach, und wenn er erst einmal diese Klippe genommen hätte, wer könnte schon sagen, was alles sich weiter ergeben könnte. Man hatte schon andere, seltsamere Dinge gesehen. Ach, Milvola, wie wohl ihr Haar ohne Mädchenhaube aussah? Sicher ein Traum, ein Gedicht, eine ...
    PLATSCH!!!
    Ein Schwall kaltes Wasser traf ihn mitten ins Gesicht, riss ihn jäh aus seinen verliebten Träumen. Von draußen kicherte es.
    Nein! Nicht schon wieder!! Und, vor allem, nicht heute!!!
    „Beim Gerstenkorn! Floritzl! du gemeiner Kerl, das sollst du mir büßen!“
    Lumiggl stürmte ins Freie. Vor Wut waren seine Ohrspitzen ganz rot angelaufen.
    „Bist du jetzt endlich wach?“ kam es von oben ganz unschuldig.
    Floritzl, ein Elf und deshalb mit Flügeln gesegnet, schwebte etwa einen halben Meter über dem Boden – außerhalb der Reichweite seines aufgebrachten Womblingfreundes und bog sich vor Lachen. Seine Libellenflügel schimmerten im Licht der Morgensonne.
    „Komm sofort runter da!“ schrie Lumiggl und versuchte hopsend, den Elf zu fassen zu kriegen. „Komm runter und kämpfe wie ein Mann!“
    Normalerweise wäre Floritzl in dieser Höhe vor dem wutschäumenden Lumiggl ganz sicher gewesen, und der hätte sich auf Dauer beruhigt, die Revanche auf später verschoben, sie hätten sich versöhnt, Floritzl hätte das nasse Hemd hoch in die Sonne getragen und mit den Flügeln trocken gefächelt, Lumiggl wäre immer noch unter den ersten Gratulanten gewesen undsoweiter undsoweiter.
    Aber so sollte es nicht kommen. Alles sollte anders kommen. Ganz anders.
    Lumiggl war heute, aus verständlichen Gründen, so aufgebracht, dass er höher sprang als sonst,
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