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Teuflische List

Teuflische List

Titel: Teuflische List
Autoren: Hilary Norman
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solle.
    »Chalk Farm, bitte«, sagte sie.
    Silas schloss die Tür. Der Fahrer blickte noch einmal in den Innenspiegel.
    Aus einem Impuls heraus kurbelte sie das Fenster herunter.
    »Ich heiße Abigail Allen«, sagte sie zu Silas.
    Drei arbeitsreiche Tage später war es Silas gerade erst gelungen, ihren Agenten ausfindig zu machen, einen Mann namens Charles Nagy, der sich zu Recht geweigert hatte, irgendwelche Informationen herauszugeben, der aber gesagt hatte, er würde gern eine Nachricht weiterleiten … dann rief sie ihn an.
    »Ist da Silas Graves?«
    »Aber ja doch.« Er wusste sofort, dass sie es war.
    »Hier spricht Abigail Allen«, sagte sie. »Sie erinnern sich vielleicht nicht mehr an mich.«
    Er lächelte und schaute zu den Fotos hinauf, die er vonihr gemacht hatte und die nun in Postergröße jede Wand seines Studios in Crouch End zierten.
    »Doch, ich erinnere mich«, erwiderte er.
    Sie sprachen mehrere Minuten miteinander. Er fragte sie, was sie in Wigmore Hall gemacht hatte, und sie erzählte ihm, dass sie dort für einen anderen Cellisten eingesprungen war, der sich die Grippe eingefangen hatte. Silas sagte, dass er nur einmal dort gewesen sei und vor allem das Wandgemälde über der Bühne bewundert habe.
    »Das hat etwas mit der Seele der Musik zu tun, nicht wahr?«, fragte er, obwohl er genau wusste, was das Werk symbolisierte; er hatte es noch am selben Morgen nachgeschlagen.
    »Und Psyche«, sagte Abigail, »die die Musik niederschreibt.«
    »Und die Liebe«, sagte Silas, »mit Rosen in den Händen.«
    Alles, was noch folgte, war fast genauso süß.

5.
    Jeden Tag, jede Woche übte Abigail in ihrem Zimmer in Chalk Farm auf dem Cello, es sei denn, sie musste auf eine Probe oder arbeitete in ihrem anderen Job.
    Es war ein kleines, schmuckloses Zimmer, in dem man Platzangst bekommen konnte, und es befand sich im obersten Stock eines alten, schmuddeligen Hauses in Bahnhofsnähe. Jedes Mal, wenn ein Zug der Northern Line vorbeiraste, bebte das ganze Gebäude. Doch vor dem Fenster konnte man den wunderschönen Anblick einer alten Kastanie genießen, die im Zusammenwirken mit Abigails Musik zu jeder Jahreszeit die trostlose Umgebung vergessen ließ.
    Auch andere Dinge konnte man auf diese Art vergessen.
    Dinge.
    Abigail kam mit ihrem Leben ganz gut zurecht. Sie kellnerte in einem kleinen Café in Finsbury Park, wenn sie nicht gerade zu einem Vorspielen, zu einer Probe oder einem Auftritt musste – alles, was Charlie Nagy ihr besorgen konnte (dessen kleine Künstleragentur zwar ein paar weitaus erfolgreichere Solisten betreute, aber trotzdem noch Zeit fand, Abigail kleinere Aufträge zu vermitteln). Sie hatte eine bunte Mischung von Engagements gehabt, seit sie von Glasgow nach London gekommen war. So hatte sie in den Monaten zuvor auf zwei Hochzeiten gespielt, einer Beerdigung, im Hintergrund fürdie Teegäste in einem Hotel am Fluss und einmal sogar im Schaufenster eines neu eröffneten Möbelhauses in South Kensington.
    Für einen Außenstehenden hätte es aussehen können, als müsse eine junge Frau, die ein so hektisches Leben führte, viele Freunde haben, doch der Schein trog: Abigail lebte ihr Leben größtenteils allein.
    Und die Einsamkeit, das wusste sie, hatte sie verdient …
    … und die Musik so unendlich viel mehr …
    Sie und ihr Cello waren wie zwei Liebende. Sie umschlang es, klemmte es zwischen die Knie, drückte den Rücken des Klangkörpers an ihre Brust, schlang die Finger der linken Hand um den Hals und führte den Bogen mit der rechten. Ihr Haar schwang bei jeder Bewegung über ihr Gesicht. Abgesehen von ihrer Schuld war das Cello – ihre Mutter hatte es vor mehr als fünfzig Jahren irgendwo in Bayern bauen lassen – das einzig Beständige in ihrem Leben. Allein mit dem Instrument, ließ Abigail ihren innersten Gefühlen freien Lauf, ließ sie in die Musik fließen, und auch körperlich … Sie liebte das glatte Fichten- und Ahornholz so sehr, dass sie an warmen Sommertagen manchmal nur mit einem Slip bekleidet spielte, oder ganz ohne.
    Es gab niemanden, der sie dabei hätte sehen können. Seit vielen Jahren schon hatte niemand mehr Abigail nahe gestanden. Natürlich hatte sie Bekannte – Musiker und ihre Kollegen und die Stammkunden des Cafés. Und natürlich war da Charlie, der gern mehr als nur ihr Freund und Agent gewesen wäre; das hatte Abigail inzwischen bemerkt. Doch auf seine freundliche, lockere Art hatte Charlie rasch erkannt, dass Abigail nicht interessiert
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