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Teufelsgrinsen: Ein Fall für Anna Kronberg (German Edition)

Teufelsgrinsen: Ein Fall für Anna Kronberg (German Edition)

Titel: Teufelsgrinsen: Ein Fall für Anna Kronberg (German Edition)
Autoren: Annelie Wendeberg
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den Fuß- und Zehenabdruck des Mannes.
    »Haben Sie ihn schon vor meiner Ankunft untersucht?«
    »Nur oberflächlich. Ich empfand es als dringender, zuerst herauszufinden, wie er in den Kanal geraten konnte.«
    Ich nickte, kein bisschen erleichtert. »Mr Holmes, Sie haben mindestens zweimal mit den Händen Ihr Gesicht berührt und haben sich sogar dicht an Ihren Lippen am Kinn gekratzt. Das ist angesichts der Tatsache, dass Sie gerade einen Choleratoten angefasst haben, ziemlich leichtsinnig.«
    Nun hob sich auch die andere Augenbraue. Ich reichte ihm ein mit Kreosot getränktes Taschentuch, womit er sich gründlich reinigte. Dann beugte er sich, ohne ihn zu berühren, dicht über den Toten und zeigte auf dessen Jacke. »Was ist das?« Holmes schien ehrlich interessiert, jedenfalls schwang in seiner Stimme kein ärgerlicher Unterton mit. Er schien sich durch meine Worte nicht angegriffen gefühlt zu haben. Ich war überrascht und fragte mich, ob es ihm nichts ausmachte, von einer Frau korrigiert zu werden, oder ob er so auf die Untersuchung konzentriert war, dass er keine Zeit hatte, nachtragend zu sein.
    Ich zupfte an dem Fleck, auf den er gezeigt hatte. Es war eine kleine grüne Feder, die in einen Riss direkt unter dem obersten Jacken-Knopfloch gesteckt worden war. Ich glättete sie und rieb den Schlamm ab.
    »Ein Pirolweibchen. Wie ungewöhnlich! Ich habe ihren Ruf schon seit Langem nicht mehr gehört.«
    »Ein seltener Vogel?«, fragte Holmes.
    »Ja, aber ich kann nicht sagen, woher diese Feder kommen könnte. Ich habe den Ruf dieses Vogels innerhalb Londons noch nie gehört. Der Mann könnte sie woanders gefunden und eine Weile mit sich herumgetragen haben …« Ich verstummte und blickte auf den Federkiel und die leichte graue Daune.
    »Der Kiel ist noch recht weich«, murmelte ich, »und die Daune noch nicht abgenutzt. Diese Feder wurde nicht von einem Raubvogel oder Fuchs gerupft, der Vogel hat sich gemausert. Der Mann hatte sie höchstens seit ein paar Wochen, was bedeutet, er hat sie gefunden kurz bevor er krank wurde, oder jemand hat sie ihm gegeben, als er schon krank war.«
    Holmes wirkte erstaunt, und ich hatte den Eindruck, mich erklären zu müssen. »In meiner Kindheit habe ich viel Zeit in den Wäldern verbracht und dabei eine ganze Menge über Vögel gelernt. Dieser Federkiel zeigt, dass die Feder von einer nachwachsenden herausgeschoben wurde. Vögel mausern sich im Frühjahr. Je weiter nördlich sie leben, desto später beginnt die Mauser. Der Vogel hat diese Feder im späten Frühling oder Anfang des Sommers dieses Jahres verloren. Wo auch immer dieser Mann seine letzten Tage verbracht hat, es muss in der Nähe des Nistplatzes eines Pirols gewesen sein. Ein Weibchen ist in dieser Jahreszeit nie allein.«
    »Wo leben diese Vögel?«, wollte er wissen.
    »In großen und alten Wäldern mit dichter Belaubung und Gewässern, wie zum Beispiel einem See oder Fluss. Ein angrenzendes Sumpfgebiet würde auch ausreichen.«
    »Die Themse?«
    »Möglich«, grübelte ich.
    Der Ziegelstein in meinem Magen war inzwischen unerträglich geworden. »Mr Holmes, haben Sie vor, mich zu verraten?«

    Er wirkte überrascht und winkte dann ab. »Pfffh!«, machte er, fast schon amüsiert. »Obwohl die Angelegenheit durchaus verzwickt ist. Ich nehme an, Sie sind nicht besonders erpicht darauf, nach Indien zu gehen.«
    Letzteres war weniger eine Frage als eine Feststellung.
    »Natürlich nicht.«
    Er wusste vielleicht nicht, dass Frauen in Deutschland der Erwerb eines akademischen Grades in Medizin immer noch verboten war. Wenn meine wahre Identität enthüllt würde, verlöre ich meinen Beruf, meinen britischen Wohnsitz, würde deportiert und in Deutschland im Gefängnis landen. Meine Alternative, obwohl ich es für keine solche hielt, bestand darin, nach Indien zu gehen, wo ich Arbeit als Ärztin finden würde. Die wenigen britischen Frauen, die es kürzlich geschafft hatten, ihr Medizinstudium abzuschließen, hatten dem wachsenden gesellschaftlichen Druck nachgegeben und waren in die indische Kolonie gegangen, aus dem Weg geräumt von der reinen Männerdomäne der Medizin. Meines Wissens war ich die einzige Ausnahme.
    »Ich hatte gehofft, es wäre nicht so augenfällig«, antwortete ich mit gedämpfter Stimme.
    »Es fällt nur mir ins Auge. Ich bilde mir ein, sehr aufmerksam zu sein.«
    »Das habe ich bemerkt. Aber weshalb sind Sie hier, wenn Sie diese Leiche doch zu langweilen scheint.«
    »Ich habe mir noch keine
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