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Tatortreiniger gesucht: Die schrägsten Berufe der Welt

Tatortreiniger gesucht: Die schrägsten Berufe der Welt

Titel: Tatortreiniger gesucht: Die schrägsten Berufe der Welt
Autoren: Nick L. Brille
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Öko-Strom und fahren Autos, die mit Erdgas betrieben werden, wenn sie es nicht ohnehin vorziehen, mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs zu sein. Sie verzichten auf tierische Fette, sind beinahe Vegetarier, lernen vor jedem Urlaub die wichtigsten Worte der jeweiligen Landessprache, erziehen ihre Kinder nicht, sondern kommunizieren mit ihnen, sind Mitglied in Sport-, aber niemals in Schützenvereinen und trinken ab und zu ein Gläschen trockenen Weißwein, vorzugsweise in der unheimlich authentischen Trattoria »Bella Venezia«, in der sie die Vornamen aller Kellner kennen. Sie machen gern ausgedehnte Waldspaziergänge, füttern scheinbar herrenlose Katzen und schenken dem Postboten jedes Jahr etwas zu Weihnachten. Die Gutmenschen.
    Die Gutmenschen heißen so, weil sie gut sind. Sie selbst würden nie behaupten, dass sie gut sind, aber natürlich geben sie uns anderen gerne und oft das Gefühl, zumindest besser zu sein als wir. Sie meinen das nicht böse, weil sie nie etwas böse meinen, aber sie wollen es auch nicht so einfach hinnehmen, dass wir uns keine Mühe geben. »Man kann sich immer noch ein bisschen verbessern«, lautet das Motto der Gutmenschen, stets kombiniert mit dem Zusatz: »Man muss es nur wollen.«
    Schwierig an Gutmenschen ist, dass man sie nicht einfach verhauen darf, weil sie sich nicht wehren und man sich dann unglaublich schuldig fühlen würde. Ihnen zu sagen, wohin sie sich das Gutmenschentum stecken können, führt zu nichts, weil sie natürlich Verständnis dafür haben, dass wir gerade eine schwierige Phase durchmachen und ein wenig gereizt sind – selbst wenn wir gar keine schwierige Phase durchmachen und nur deshalb so gereizt sind, weil uns das gefällt. Wenn man Gutmenschen in wesentlichen Fragen widerspricht, legen sie gerne den Kopf ein wenig schief und bekommen einen leicht verschleierten Blick voller erbarmungslosen Mitleids. Wenn man mit Gutmenschen über ihre Einstellung diskutiert, hat man keine Chance, weil sie jede Meinung gelten lassen, aber ihre letztendlich immer die richtige ist.
    Gutmenschen streiten sich ohnehin nie, sondern sie führen fruchtbare Diskussionen oder pflegen den Meinungsaustausch. Meistens warten sie geduldig ab, bis ihr Gegenüber ausgesprochen hat, bevor sie sich selbst äußern. Gutmenschen haben selbstverständlich Temperament und können Leidenschaften fühlen, aber diese müssen immer konstruktiv sein und dürfen nicht zerstörerisch wirken. Gutmenschen helfen älteren Menschen über die Straße, haben Verständnis für verhaltensauffällige Jugendliche (sofern diese nicht mit ihren Kindern spielen), fühlen sich angeblich bei warmem Sommerregen am wohlsten, gönnen sich Elternzeiten und bestehen darauf, auch als Mann Gefühle zeigen zu müssen.
    Gutmenschen sind … tja, nun … eben gute Menschen. Und das allein wäre ja auch kein Problem. Was Gutmenschen für uns andere so schwer erträglich macht, ist die unglaubliche Konzentration des Gutmenschentums. Gutmenschen haben nämlich so viel damit zu tun, in jeder nur vorstellbaren Lebenslage so gut wie nur irgend möglich zu sein, dass sie dieses Bemühen aus allen Poren schwitzen und ständig auf den Lippen tragen. Das bedeutet: Gutmenschen parlieren andauernd und beinahe pausenlos über die Pflichten und Ansichten eines guten Menschen, über das, was einen guten Menschen auszeichnet, und warum sie selbst sich so sehr anstrengen, stets gute Menschen zu bleiben. Das ist lehr- und hilfreich, das ist kommunikativ und freundlich, das ist wichtig und vermutlich richtig … und das geht uns dermaßen auf den Sack, dass wir ständig nur schreien wollen. Wir sind nämlich der Ansicht, dass Gutmenschen viel zu gut für uns sind. Wir würden es ohne weiteres Wehklagen ertragen, dass sie Spritfresser ablehnen und kein Fleisch essen – kein Problem. Dass sie aber ihr Gutmenschentum auf praktisch alle Lebensbereiche ausdehnen, ist uns unheimlich, und wir verstehen es nicht. Hinzu kommt, dass wir permanent das Gefühl haben, missioniert zu werden. Wir brauchen also unbedingt jemanden, der diese Last von unseren Schultern nimmt – wir brauchen einen, der Gutmenschen nicht nur erträgt und mit ihnen reden kann, sondern sie von uns fernhält. Wir brauchen einen Gutmenschen-Erdulder.
    Der Erdulder müsste aus ganz speziellem Holz geschnitzt sein. Er müsste so tolerant sein, dass er nachvollziehen kann, warum wir selbst keine Gutmenschen sein wollen, gleichzeitig aber auch Verständnis für den
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