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Tatortreiniger gesucht: Die schrägsten Berufe der Welt

Tatortreiniger gesucht: Die schrägsten Berufe der Welt

Titel: Tatortreiniger gesucht: Die schrägsten Berufe der Welt
Autoren: Nick L. Brille
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Dritter-Klasse-Vierte-Welt-Bananenrepublik … Hier braucht man Symbole, an denen sich zumindest der Reisende orientieren kann. Die Statue of Liberty  – Wahrzeichen der Stadt New York, obwohl sie lustigerweise auf dem Grund und Boden von New Jersey steht – ist so ein Symbol: kraftvoll, mehr oder weniger elegant und mit einem immens hohen Wiedererkennungswert ausgestattet. Angeblich ist ihr Bild sogar in jugendlichen Kreisen bekannter als das neueste Plattencover von Britney Spears, wobei beides sehr häufig verwechselt wird. Kein Zweifel – die Freiheitsstatue repräsentiert für uns jenes Land auf der anderen Seite des großen Teichs, das sich seit Jahren redlich bemüht, an seinen eigenen Begrenzungen zu ersticken und in einem Südstaatendorf an der Ortsgrenze sogar ein Schild aufstellen lässt, das dem Teufel die Einreise verbietet. Amerika, du hast es besser, hat Goethe gesagt.
    1986 war es, als die New Yorker Stadtverwaltung einen Wettbewerb namens »National Statue of Liberty Centennial Look-Alike Contest« ins Leben rief – eine Art Doppelgänger-Freakshow für gelangweilte Hausfrauen aus Staten Island, die sich einbildeten, mit nach oben gereckter Fackel ihren seit Jahren gelangweilten Ehegatten erotisieren zu können.
    Nun, den Job bekam keine von ihnen, sondern eine Kunsttherapeutin namens Jennifer Stewart. Sie lebte seinerzeit in Iowa, eine Tatsache, die besagte Kunsttherapeutin wohl auch dazu bewog, sich für den erwähnten Wettbewerb anzumelden. Warum auch nicht? Besser als in Iowa auf das baldige Ableben zu hoffen – was dort die meisten Menschen dauerhaft als Hauptbeschäftigung angeben – war der Trip nach New York allemal, zumal einer ihrer Patienten ihr gesagt hatte, sie sähe der Freiheitsstatue irgendwie ähnlich.
    So kam es, wie es fast zwangsläufig kommen musste: Jennifer kam, sah, siegte und blieb. Die Aussicht, als offiziell gekürte Miss Statue ins heimische Weizenfeld zurückkehren zu müssen, war so entsetzlich, dass sie folgerichtig ihre angeborene Schüchternheit überwand und fortan regelmäßig als Statue of Liberty posierte. Seitdem verdient sie ihr Geld als lebende Freiheitsstatue und repräsentiert die Stadt New York auf Messen in Japan, Singapur, Brasilien, London oder Mexiko. Sie tritt auf Tagungen auf, war Blickfang bei der Abschlussfeier der New York University, in zahlreichen Werbespots zu sehen, und im Tom-Hanks-Streifen »Joe gegen den Vulkan« (1990) hatte sie eine Nebenrolle. Sie kennen den Film nicht? Macht nichts – wahrscheinlich kann sich nicht mal mehr Tom Hanks an ihn erinnern.
    Ihre klassische Körperhaltung als Freiheitsstatue kann sie bis zu zwanzig Minuten halten und steht auch gerne in der Nähe von berühmten Touristenattraktionen in New York herum, wo ihr verzückt lächelnde Japanerinnen in viel zu kleinen Schuhen Geldstücke in die daneben stehende Pappschachtel werfen. Oder Scheine. Also – meistens eher Scheine. Man verdient gar nicht schlecht mit Rumstehen.
    Natürlich hat der Job auch einige Nachteile. Zum einen dauert das tägliche Schminken eine ganze Weile, zum anderen ist das Tragen von Togas nicht mehr unbedingt zeitgemäß und schreckt potenzielle Liebhaber aus der Provinz häufig gründlich ab. Außerdem musste sich Jennifer eigenem Bekunden zufolge erst einmal damit arrangieren, dass wildfremde Menschen – sehr häufig Kinder mit verklebten Schokoladefingern – auf ihr herumklopfen, um zu prüfen, ob die Lady wirklich aus Metall ist. Ist sie nicht, ihr Dumpfbacken. Ehrlich. Ist nur Theaterschminke auf Metallbasis. »Nein, Kevin – nicht in die Brust kneifen. Lass das … bitte … Mist – zu spät. Tschuldigung, Lady. Er ist doch noch so klein. Sieht nur aus wie sechzehn, Ehrenwort.«
    Tja, Jennifer – aber besser als Iowa ist es trotzdem. Obwohl: Besser als Iowa ist sogar der Tod. Oder ist der Tod im Nebenberuf etwa Iowa? Wer weiß das schon … Entschuldigen Sie die Abschweifung.
     
Gefahr: * (Kommt drauf an, wie man Gefahr definiert. Wenn man Angst vor Menschen hat, kann der Job ein bisschen riskant für die Psyche werden.)
Langeweile: **** (Ja, ja – man lernt viele neue Menschen kennen, aber reden darf man mit ihnen nicht. Und mit der Zeit kann Rumstehen ganz schön öde sein.)
Seltenheit: ***** (Die Konkurrenz ist minimal.)
Ekelfaktor: **** (Siehe den Faktor Gefahr: Wenn man darauf steht, betatscht, begrabscht und angeglubscht zu werden, dann ist der Job schön. Wenn nicht, dann kann’s zuweilen schon
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