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Tatjana

Tatjana

Titel: Tatjana
Autoren: Tathana Cruz Smith
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waren die ehemaligen KGB ler, die wie Fledermäuse im Kreml hausten.
    Arkadi trennte sich von der Menge und ging um das Gebäude herum. Auf der einen Seite befand sich eine Reihe heruntergekommener Mietshäuser, auf der anderen ein Maschendrahtzaun und eine Baustelle, die noch kaum in Gang gekommen war. Stapel von Moniereisen rosteten vor sich hin. Bauwagen standen verlassen da, die Fenster eingeschlagen, die Türen besprüht mit Hakenkreuzen. Männer hatten sich um einen Zementmischer versammelt. Alle hatten kahl geschorene Köpfe und trugen Rot, die Farbe der Fans des Fußballklubs Spartak. Bei Spartak-Spielen wurden sie oft in einen abgegrenzten Teil der Tribüne gepfercht. Arkadi sah, wie einer nach einer Eisenstange griff und sie probeweise schwang.
    Als er zurückkehrte, war die Kundgebung in vollem Gange. Eine richtige Organisation gab es nicht. Die Leute wechselten sich am Megafon ab und redeten sich ihr schlechtes G ewissen von der Seele. Alle hatten irgendwann ihre Karriere durch das Kippen eines Artikels befördert, für den Tatjana Petrowna Kopf und Kragen riskiert hatte. Gleichzeitig erinnerten sie daran, dass Tatjana gewusst habe, wie sie enden würde. Sie besaß kein Auto, weil es, wie sie sagte, nur in die Luft gesprengt worden wäre, und das sei Verschwendung eines einwandfreien Wagens. Sie hätte in eine größere Wohnung ziehen, hätte sich den Weg zu materiellem Luxus erpressen können, war jedoch zufrieden mit ihrer Sackgassenbude gewesen, dem klapprigen Aufzug und den dürftigen Türen.
    »Jede Schnecke zieht ihr eigenes Haus vor«, hatte Tatjana gesagt. Aber sie wusste es. So oder so, es war nur eine Frage der Zeit.
    Der Nachmittag ging in die Dämmerung über, und das Fernsehteam war abgezogen, bevor der Dichter Maxim Dal vortrat. Maxim war sofort zu erkennen, größer als alle anderen, mit einem gelbweißen Pferdeschwanz, einem Schaffellmantel und von derart heroischer Hässlichkeit, dass er beinahe schön war. Kaum hielt er das Megafon in Händen, verurteilte er den mangelnden Fortschritt der Ermittlungen.
    »Tolstoi schrieb, ›Gott kennt die Wahrheit, aber er wartet‹.« Maxim wiederholte: »Gott kennt die Wahrheit, aber er wartet, um das Böse zu korrigieren, das Menschen anrichten. Tatjana Petrowna hatte diese Geduld nicht. Sie hatte nicht die Geduld Gottes. Sie wollte, dass das Böse, das Menschen tun, sofort korrigiert wird. Heute. Sie war eine ungeduldige Frau, und daher war ihr klar, dass dieser Tag kommen könnte. Sie wusste, sie war eine Gezeichnete. Sie war klein, doch für gewisse Elemente im Staat so gefährlich, dass sie zum Schweigen gebracht werden musste, genau wie so viele andere russische Journalisten bedroht, angegriffen und ermordet wurden. Sie wusste, sie stand als Nächste auf der Liste der Märtyrer, und auch aus diesem Grund war sie eine ungeduldige Frau.«
    Einer der Demonstranten fiel auf die Knie. Arkadi dachte, der Mann sei gestolpert, bis eine Straßenlaterne zersplitterte. Einem allgemeinen Luftanhalten folgten erschrockene Schreie.
    Vom Rand der Menge hatte Arkadi freie Sicht auf die Skinheads, die über den Maschendrahtzaun setzten wie Wikinger über eine Bordwand. Nur eine Handvoll, nicht mehr als zwanzig. Sie schwangen ihre Eisenstäbe wie Breitschwerter.
    Chefredakteure mit sitzender Lebensweise konnten es nicht mit jungen Rowdys aufnehmen, die ihre Tage damit verbrachten, Gewichte zu stemmen und Karateschläge in die Nieren oder die Kniekehlen zu trainieren. Professoren gaben Fersengeld und nahmen ihre Würde mit, während sie versuchten, die Schläge abzuwehren. Transparente sackten zusammen, als Appelle zur Vernunft mit Tritten beantwortet wurden. Ein Schlag in den Rücken nahm einem die Luft. Ein Stein auf den Schädel schrammte die Kopfhaut auf. Rettung schien nahe, als ein Polizeibus eintraf und Bereitschaftspolizei auslud. Arkadi erwartete, dass sie den Demonstranten zu Hilfe kommen würden, doch stattdessen stürmten sie mit Gummiknüppeln auf sie los.
    Arkadi sah sich einem riesigen Polizisten gegenüber. Klar unterlegen, versetzte er dem Mann einen Hieb gegen die Luftröhre, eher eine billige Nummer als ein K.-o.-Schlag, doch der Polizist torkelte im Kreis, rang nach Luft. Anja war mitten im Schlachtgetümmel und machte Fotos, während Maxim sie schützte und das Megafon wie einen Knüppel einsetzte. Arkadi erhaschte einen Blick auf Obolenski, der ebenfalls wacker standhielt.
    Doch Arkadi ging zu Boden. Bei einem Straßenkampf ist das der
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