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Taquanta: Zwischen Traum und Wirklichkeit (German Edition)

Taquanta: Zwischen Traum und Wirklichkeit (German Edition)

Titel: Taquanta: Zwischen Traum und Wirklichkeit (German Edition)
Autoren: Andrina L. Vögele
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lustig gewesen sei, so hätte ich ihm keine Antwort geben können. Mein Lachen hörte sich in meinen Ohren hohl und oberflächlich an. Meine Bewegungen schienen zu träge oder zu forciert. Auch die anderen bemerkten es, doch da ich immer beteuerte, mirginge es bestens, hörten die Fragen nach meinem Befinden bald auf, und sie taten so, als sei es völlig normal, einen Zombie um sich zu haben.
    Zombie. Das war wohl die richtige Beschreibung. Oder vielleicht traf es Totseeler besser, dachte ich grimmig und kniff mich in den Arm, so dass ich einen Schrei unterdrücken musste. Das war auch eine neue Angewohnheit. Schliesslich war ich auch nur ein Mensch und konnte nicht jeden Gedanken abwehren. Schweiften sie doch einmal zu den verbotenen Themen, so kniff ich mich kräftig, als Erinnerung daran, dass das nicht erlaubt war.
    Ich hatte die Tasche nicht mehr unter dem Bett hervorgeholt und die Putzfrau beauftragt, das Kleid, das zuhinterst in meinem Schrank hing, zu verbrennen. Sie tat es, und ich wusste, dass sie mein Verhalten genauso seltsam fand wie mein Vater. Mein Vater beschloss irgendwann, es könne so nicht weitergehen, und schickte mich zu einem Therapeuten. Danach sass ich zweimal wöchentlich einer Frau mit hochgestecktem, rotem Haar gegenüber und starrte ihr 50 Minuten lang in die müden, alten Augen, während sie versuchte, Antworten aus mir herauszubekommen: Wieso ich mich so verhielt. Ob ich nichts zu erzählen hätte. Was sich so plötzlich geändert hatte. Nur einmal antwortete ich. Alles, hatte ich gesagt. Sie hatte erfreut gelächelt, denn endlich kooperierte ich, und hatte weiter nachgebohrt, was ich denn mit ›alles‹ meine, doch ich war wieder in mein altes Schweigen zurückgekehrt, nachdem ich mich kräftig gekniffen hatte.
    Jeden Abend bis spät in die Nacht hinein sass ich am offenen Fenster und hoffte, ich würde eine Sternschnuppe sehen. Doch Nacht für Nacht schlüpfte ich enttäuscht ins Bett und fragte mich, was ich mir wohl gewünscht hätte.Ein neues Handy? Die beste Schülerin zu sein? Ein Ferienhaus in Spanien? Und jedes Mal endete es mit einem kräftigen Kniff in den Arm, denn es gab nur etwas, was ich mir wünschte. Und daran durfte ich nicht denken.
    Ansonsten hatte ich mich nicht sehr geändert, zumindest versuchte ich mir das einzureden. Ich sprach sehr wenig und verkroch mich andauernd hinter Schulbüchern und abends kurz vor acht Uhr in eine einsame Ecke. Und bis Punkt acht Uhr liess ich alle Gedanken zu. Dann wurde nicht gekniffen, sondern geträumt. Von kobaltblauen Augen, Sternen,die für mich vom Himmel geholt wurden, und von kleinen neugierigen Elfenmädchen. Ich hoffte, dass diese Phantasien die Albträume von Schlachten und Toten, die mich plagten, vertreiben würden, aber es nützte nichts. Und doch genoss ich diese tägliche Minute der Freiheit.
    Hätte ich auch die Träume kontrollieren können, so hätte ich das zweifellos getan. Obwohl, hätte ich diese Gabe bessessen, dann hätte ich auch nie diese ganze Geschichte mit Giardio und Taquanta zusammenträumen können. Und das hatte ich, denn es war nur ein Traum gewesen. Ein wunderbarer, phantastischer Traum. Aber eben doch nur ein Traum.
    Seufzend sass ich am Fenster, starrte auf den Wecker und sah zu, wie die Analoguhr die Zeit anzeigte. Die Sekunden tickten nur so dahin. Viel zu schnell, wie ich fand. 19:59.57, 19:59.58, 19:59.59 – 20:00.00. Ich biss mir auf die Lippe und wandte meine Gedanken schnell anderem zu. Ähm … was hatte ich gestern im Kino gesehen? Ich versuchte mich daran zu erinnern. Was war es gewesen? Irgendetwas mit… Irgendwie erbärmlich. Ich konnte mich nicht einmal mehr daran erinnern, welchen Film ich gestern im Kino gesehen hatte.
    Abwesend sah ich aus dem Fenster. Ich wusste, dass ich in den Garten sah, denn schon seit vielen Jahren setzte ich mich hierher, wenn ich nachdenken musste oder betrübt war, aber ich
sah
ihn nicht.
    Ich starrte und starrte, ohne etwas zu sehen. So auch an diesem Abend. Denn was gab es schon zu sehen? Nichts war so schön wie der Lichte Wald in meinem Traum von Taquanta gewesen. Nichts war so schön wie der Junge mit den Elfenflügeln und den dazu passenden, tiefen, ehrlichen, kobaltblauen Augen. Ich kniff mich. Heute, elf Wochen nach meinem Traum, würde ich die Tasche unter dem Bett hervorholen. Ohne zu kneifen.
    Ich holte tief Luft, legte mich auf den Boden und angelte in der Dunkelheit unter meinem Bett nach der Jeanstasche. Endlich bekam ich sie zu fassen.
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