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Tanz der seligen Geister (German Edition)

Tanz der seligen Geister (German Edition)

Titel: Tanz der seligen Geister (German Edition)
Autoren: Alice Munro
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Oma?« Dann wedelte er meiner Mutter mit einer imaginären Pillenschachtel vor der Nase herum, und sie musste schließlich unfreiwillig lachen. »Er sagt das doch nicht wirklich?«, fragte ich, und sie sagte, natürlich nicht, dazu ist er viel zu gut erzogen.
    Ein Hof nach dem anderen also, alte Autos, Pumpen, Hunde, Ausblicke auf graue Scheunen, zerfallende Ställe und stillstehende Windmühlen. Falls die Männer auf den Feldern arbeiten, dann nicht auf Feldern, die wir sehen können. Die Kinder sind weit fort, folgen ausgetrockneten Bachbetten oder suchen Brombeeren, oder sie verstecken sich im Haus, beobachten uns durch einen Spalt im Rouleau. Der Autositz ist von unserem Schweiß glitschig geworden. Du traust dich nicht, auf die Hupe zu drücken, stachle ich meinen Bruder auf, weil ich eigentlich selbst hupen möchte, aber nicht die Schimpfe dafür kriegen will. Er durchschaut mich. Wir spielen »Ich sehe was, was du nicht siehst«, aber es fällt schwer, viele Farben zu finden. Grau für die Scheunen, Ställe, Toiletten und Häuser, Braun für den Hof und die Felder, Schwarz und Braun für die Hunde. Die verrostenden Autos haben bunt schimmernde Stellen, in denen ich ein bisschen Rotoder Grün suche; genauso suche ich auch auf den Türen nach abblätternder alter blauer oder gelber Farbe. Wir können nicht mit Buchstaben spielen, was besser wäre, denn mein Bruder kennt sie noch nicht. Das Spiel zerfällt ohnehin. Er behauptet, meine Farben seien ungerecht, und will außer der Reihe drankommen.
    In einem Haus geht keine Tür auf, obwohl das Auto im Hof steht. Mein Vater klopft, pfeift und ruft: »Hallo! Hier ist der Mann von Walker Brothers!«, aber von nirgendwo kommt Antwort. Dieses Haus hat keine Veranda, nur einen kahlen, abschüssigen Betonsockel, auf dem mein Vater steht. Er dreht sich um, schaut umher, auch zur Scheune, deren Heuboden leer sein muss, weil man von unten den Himmel sehen kann, und beugt sich schließlich vor, um seine Koffer zu nehmen. Genau in diesem Augenblick geht oben ein Fenster auf, ein weißer Topf erscheint über dem Fensterbrett, wird ausgekippt, und sein Inhalt ergießt sich entlang der Wand. Das Fenster ist nicht direkt über dem Kopf meines Vaters, also bekommt er nur ein paar Spritzer ab. Er hebt seine Koffer auf, ohne besondere Eile, und kommt ohne zu pfeifen zum Auto. »Weißt du, was das war?«, frage ich meinen Bruder. »Pipi.« Er lacht sich schief.
    Mein Vater dreht sich eine Zigarette und zündet sie an, bevor er den Motor anlässt. Das Fenster ist zugeknallt, das Rouleau zugezogen worden, ohne dass wir eine Hand oder ein Gesicht gesehen haben. »Pipi, Pipi«, singt mein Bruder entzückt. »Jemand hat Pipi runtergekippt!« – »Erzählt das bloß nicht eurer Mutter«, sagt mein Vater. »Sie versteht wahrscheinlich nicht, was daran so komisch ist.« – »Kommt das in deinem Lied vor?«, will mein Bruder wissen. Mein Vater sagt nein, aber er will mal sehen, ob er es einarbeiten kann.
    Mir fällt nach einer Weile auf, dass wir nicht mehr in Feldwege einbiegen, obwohl wir auch nicht nach Hause zu fahren scheinen. »Ist das der Weg nach Sunshine?«, frage ich meinen Vater, und er antwortet: »Nein, Madam, ist es nicht.« – »Sind wir immer noch in deinem Gebiet?« Er schüttelt den Kopf. »Wir fahren schnell «, sagt mein Bruder anerkennend, und wir holpern tatsächlich so durch ausgetrocknete Pfützenlöcher, dass alle Flaschen in den Koffern vielversprechend klappern und gluckern.
    Wieder ein Feldweg, ein Haus, auch nicht angestrichen, von der Sonne zu Silber gedörrt.
    »Ich dachte, wir sind außerhalb deines Gebiets.«
    »Sind wir auch.«
    »Warum fahren wir dann hierher?«
    »Ihr werdet schon sehen.«
    Vor dem Haus hebt eine kleine, stämmige Frau Wäsche auf, die auf dem Rasen zum Trocknen und Bleichen ausgebreitet liegt. Als das Auto anhält, mustertsie es einen Augenblick streng, beugt sich vor, um zwei weitere Handtücher aufzuheben und zu dem Bündel unter ihrem Arm zu tun, kommt zu uns herüber und sagt mit ausdrucksloser, weder höflicher noch unfreundlicher Stimme: »Haben Sie sich verfahren?«
    Mein Vater lässt sich Zeit damit, aus dem Auto zu steigen. »Ich glaube nicht«, sagt er. »Ich bin der Mann von Walker Brothers.«
    »Unser Mann von Walker Brothers ist George Golley«, sagt die Frau, »und der war erst vor einer Woche hier. Ach du Schreck«, sagt sie schroff, »du bist es.«
    »Ich war’s jedenfalls, als ich letztes Mal in den Spiegel gesehen
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