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Tanz der seligen Geister (German Edition)

Tanz der seligen Geister (German Edition)

Titel: Tanz der seligen Geister (German Edition)
Autoren: Alice Munro
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einem Dorfladen und drei Tüten Eiscreme oder drei Flaschen Limo und die Lieder, die mein Vater singt? Er hat auch eines über sich selbst gemacht, es hat sogar einen Titel, »Der Walker Brothers-Cowboy«, und so fängt es an:
    Der gute, alte Freddy Fields, er hat den Tod gefunden,
    Jetzt reite ich von Hof zu Hof und drehe seine Runden.
    Wer ist Freddy Fields? Auf alle Fälle der Mann, dessen Stelle er jetzt einnimmt und der also tatsächlich tot ist; doch die Stimme meines Vaters klingt traurig-fröhlich und macht aus seinem Tod etwas Ulkiges, ein komisches Missgeschick. »Wär ich doch wieder am Rio Grande, stapfte durch den dunklen Sand.« Mein Vater singt fast ständig, wenn er Auto fährt. Sogar jetzt, während wir aus der Stadt hinausfahren, die Brücke überqueren und in der engen Kurve auf den Highway einbiegen, summt er etwas vor sich hin, nur ein paar Takte, probiert etwas aus für ein neues Lied, denn auf dem Highway kommen wir gleich an dem Baptisten-Lager vorbei, dem Bibel-Ferienlager, und er legt los:
    Wo sind die Baptisten, wo sind die Baptisten,
        wo sind die Baptisten alle hin?
    Tauchen tief ins Wasser, ins Huron-See-Wasser,
        lassen ihre Sünden alle drin.
    Mein Bruder nimmt das für die blanke Wahrheit, kniet sich auf und späht hinunter zum See. »Ich sehe keine Baptisten«, sagt er vorwurfsvoll. »Ich auch nicht, mein Sohn«, erwidert mein Vater. »Ich hab dir ja gesagt, sie tauchen tief in den See.«
    Keine gepflasterten Straßen mehr, als wir den Highway verlassen. Wir müssen die Fenster wegen des Staubs hochkurbeln. Das Land ist eben, verdorrt, leer. Baumgruppen hinten auf den Farmen versprechen Schatten, schwarzen Föhrenschatten wie Teiche, die unerreichbar sind. Wir holpern über einen langen Feldweg, und was könnte an dessen Ende abweisender, verlassener aussehen als das hohe, ungestrichene Farmhaus mit Gras, das ungemäht bis zur Haustür wächst, grünen heruntergelassenen Rouleaus und einer Tür im Obergeschoss, die sich ins Nichts öffnet? Viele Häuser haben diese Tür, und ich habe nie herausfinden können, wozu. Ich frage meinen Vater, und er sagt, sie sind für Schlafwandler da. Was? Na ja, wenn ein Schlafwandler mal eben vor die Tür gehen will. Ich bin gekränkt, habe zu spät gemerkt, dass er wie üblich Witze macht, aber mein Bruder sagt unerschüttert: »Wenn er das täte, würde er sich den Hals brechen.«
    Die dreißiger Jahre. Wie sehr gehören doch diese Art von Farmhaus, diese Art von Nachmittag für mich zu jenem Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts, ebenso wie der Hut meines Vaters, sein breiter, bunter Schlips und unser Auto mit seinen breiten Trittbrettern (ein Essex, der seine beste Zeit lange hinter sich hatte). Ähnliche Autos, viele älter, keines staubiger, stehen auf den Höfen. Einige sind nur noch Schrott, haben keineTüren mehr, und ihre Sitze sind ausgebaut worden, um auf der Veranda benutzt zu werden. Kein lebendes Wesen ist zu sehen, keine Hühner, kein Vieh. Nur Hunde. Sie liegen in jedem Fleckchen Schatten, das sie finden können, und träumen, ihre mageren Flanken heben und senken sich rasch. Sie springen auf, wenn mein Vater die Autotür aufmacht, und er muss mit ihnen reden. »Feiner Hund, braver Hund, so ist’s gut.« Sie beruhigen sich, kehren in ihren Schatten zurück. Er muss schließlich wissen, wie man Tiere beruhigt, er hat tobende Füchse mit einer Zange am Hals festgehalten. Eine besänftigende Stimme für die Hunde und eine andere aufmunternde, fröhliche für den Hausbesuch. »Hallo, Missus, hier ist der Mann von Walker Brothers, wo fehlt’s denn heute?« Eine Tür geht auf, er verschwindet. Es ist uns verboten, ihm zu folgen oder auch nur aus dem Auto zu steigen, wir können bloß warten und rätseln, was er wohl sagt. Manchmal versucht er meine Mutter zum Lachen zu bringen, indem er so tut, als sitze er in einer Farmküche und breite seinen Musterkoffer aus. »Also, Missus, werden sie von Schmarotzern geplagt? Ich meine die Köpfe ihrer Kinder. Diese kleinen Krabbeltierchen, die wir aus Höflichkeit nicht nennen und die auf den Köpfen der besten Familien zu finden sind. Seife alleine hilft nichts, Benzin ist kein sehr hübsches Parfüm, aber ich habe hier …« Oder auch: »Glauben Sie mir, wer so wie ich den ganzen Tag langim Auto sitzt, der kennt den Wert dieser feinen Pillen. Natürliche Erleichterung. Ein Problem, das auch alte Leutchen kennen, sobald ihre aktive Zeit vorbei ist … Wie steht’s bei Ihnen,
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