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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber
Autoren: Mario Vargas Llosa
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machte seine Lehre im Banco Central de Réserva und fand immer einen Vorwand, um jeden Morgen einen Abstecher zu Radio Panamericana zu machen. Von seinem sprichwortologischen Albtraum war ihm die Gewohnheit geblieben, mich mit unpassenden Sentenzen zu strafen.
    Daß Tante Julia, obgleich sie Bolivianerin war und in La Paz gelebt hatte, niemals von Pedro Camacho gehört hatte, überraschte mich sehr. Aber sie erklärte mir, sie habe niemals ein Hörspiel gehört und nie den Fuß in ein Theater gesetzt, seit sie in ihrem letzten Schuljahr bei den irischen Nonnen als Morgenröte im ›Tanz der Stunden‹ aufgetreten sei. (»Wage es nicht, mich zu fragen, wie lange das her ist, Marito.«) Wir gingen von Onkel Luchos Haus am Ende der Avenida Armendâriz in Richtung Kino Barranco. Sie hatte mir heute mittag diese Einladung auf außerordentlich listige Weise selbst aufgezwungen. Es war der Donnerstag nach ihrer Ankunft, und obwohl mir die Aussicht, wieder Opfer ihrer bolivianischen Spaße zu werden, überhaupt nicht gefiel, wollte ich doch dem wöchentlichen Mittag essen nicht fernbleiben. Ich hoffte, sie vielleicht nicht anzutreffen, denn am Vorabend – Mittwochabend war Besuch bei Tante Gaby – hatte ich Tante Hortensia mit dem Ton dessen, der die Geheimnisse der Götter kennt, sagen hören:
    »In ihrer ersten Woche in Lima ist sie schon viermal ausgegangen und mit vier verschiedenen Galanen. Einer war sogar verheiratet. So eine Geschiedene hat es faustdick hinter den Ohren.«
    Als ich nach den 12-Uhr-Nachrichten von El Panameri cano bei Onkel Lucho ankam, traf ich sie mit einem dieser Galane. Ich verspürte die süße Lust der Rache, als ich in das Wohnzimmer trat und Onkel Pancracio, einen Vetter meiner Großmutter, neben ihr sitzen sah. Mit seinem altmodischen Anzug, seiner Fliege, einer Nelke im Knopfloch und der Art, wie er sie mit Erobereraugen ansah, wirkte er höchst lächerlich. Er war schon unendlich lange verwitwet, ging mit ausgestellten Füßen, die zehn Minuten nach zehn zeigten, und die Familie sprach boshaft über seine Besuche, denn er konnte es nicht lassen, die Dienstmädchen vor aller Augen zu kneifen. Er ließ sich die Haare färben, trug eine Taschenuhr mit versilberter Kette, und jeden Tag konnte man ihn um sechs Uhr nachmittags an der Ecke des Jiron de la Union sehen, wie er den Büromädchen Schmeicheleien nachrief. Als ich mich zu der Bolivianerin hinunterbeugte, um ihr einen Kuß zu geben, flüsterte ich ihr mit aller Ironie der Welt ins Ohr: »Was für eine großartige Eroberung, Julita.« Sie zwinkerte mir zu und nickte. Während des Mittagessens, nachdem er weit ausholend über kreolische Musik gesprochen hatte – er war Fachmann auf diesem Gebiet, und bei Familien festen gab er stets ein Kastensolo zum besten –, wandte sich Onkel Pancracio an Tante Julia und sagte, wobei er sich die Lippen leckte wie ein Kater: »Ach, apropos, am Donnerstagabend kommt die Pena Felipe Pinglo in La Victoria zusammen, der Inbegriff des Kreolentums. Möchtest du nicht ein bißchen echte peruanische Musik hören?« Ohne eine Sekunde zu zögern und mit einem untröstlichen Gesichtsausdruck, der der Gemeinheit die Krone aufsetzte, antwortete Tante Julia und deutete dabei auf mich: »Nein, wie schade. Marito hat mich ins Kino eingeladen.« »Der Jugend den Vortritt«, Onkel Pancracio verneigte sich in sportlichem Verzicht. Nachdem er gegangen war, glaubte ich noch einmal davongekommen zu sein, denn Tante Olga fragte: »Das mit dem Kino war doch wohl nur ein Vorwand, um diesen Lustgreis loszuwerden?« Aber Tante Julia widersprach ihr mit Nachdruck: »Keineswegs, liebe Schwester, ich bin ganz versessen darauf, den Film im Barrancp zu sehen; er ist nicht für kleine Mädchen.« Sie wandte sich an mich, und um mich zu beruhigen, fügte dieses Prachtexemplar hinzu: »Mach dir keine Sorgen wegen des Geldes, Marito. Ich lade dich ein.« Und da gingen wir nun durch die dunkle Quebrada de Armen-dâriz, durch die weite Avenida Grau ins Kino, zu allem Übel war es auch noch ein mexikanischer Film und hieß »Mutter und Geliebte«.
    »Das Schreckliche am Geschiedensein ist nicht, daß alle Männer glauben, sie müßten einem irgendwelche Anträge machen«, meinte Tante Julia, »sondern daß sie meinen, nur weil man geschieden ist, brauche man keine Romantik mehr. Sie flirten nicht mit dir, sagen dir keine zärtlichen Galanterien, sie machen dir bei der ersten sich bietenden Gelegenheit mit der größten Grobheit ihr
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