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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber
Autoren: Mario Vargas Llosa
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meiner Gesundheit.“
    Nicht ohne Mühe gelang es mir nach und nach, das, was mir von Pedro Camacho in Erinnerung war, mit dem, was ich sah, in Verbindung und in Einklang zu bringen. Die hervorstehenden Augen waren die gleichen, sie hatten aber ihren Fanatismus, die obsessive Überspanntheit verloren. Jetzt war ihr Glanz schwach, matt, flüchtig und verängstigt. Auch die Gesten und Bewegungen, die Art, beim Sprechen zu agieren, diese unnatürlichen Bewegungen des Armes und der Hand, die an einen Marktschreier erinnerten, waren wie früher, genau wie diese unvergleichliche, wohlklin gende und einschmeichelnde Stimme.
    »Das kommt, weil Sie so geizig sind und weder einen Autobus noch ein Colectivo nehmen; darum kommen Sie immer und überall zu spät; so läuft der Hase«, bellte, außer sich, Dr. Rebagliati. »Seien Sie nicht so knauserig, verdammt noch mal, geben Sie die paar Groschen aus, die der Bus kostet, und kommen Sie rechtzeitig an, wo Sie hin sollen.« Aber die Unterschiede waren größer als die Ähnlichkeiten. Die Hauptveränderung lag im Haarschnitt; dadurch, daß die Mähne, die ihm bis auf die Schultern gereicht hatte, zu einer Bürste gestutzt war, wirkte sein Gesicht eckiger, kleiner und hatte an Charakter und Persönlichkeit verloren. Außerdem schien er noch dünner zu sein, er sah aus wie ein Fakir, fast wie ein Gespenst. Aber vielleicht war seine Kleidung schuld daran, daß ich ihn im ersten Augenblick nicht erkannte. Früher hatte ich ihn nur in Schwarz gesehen, in seinem düsteren und blankgetragenen Anzug mit dem Krawattenband, die untrennbar zu seiner Person gehörten. Jetzt, mit diesem Arbeiter overall, dem geflickten Hemd, den zusammengebundenen Schuhen, sah er aus wie eine Karikatur der Karikatur, die er vor zwölf Jahren gewesen war.
    »Ich versichere Ihnen, es ist nicht so, wie Sie denken, Herr Direktor«, verteidigte er sich mit großer Überzeu gungskraft. »Ich habe Ihnen gezeigt, daß ich überall sehr viel schneller zu Fuß hinkomme als in diesen stinkenden Kutschen. Nicht aus Knauserigkeit gehe ich zu Fuß, sondern um meine Pflicht sorgfältig erfüllen zu können. Oft renne ich sogar, Herr Direktor.« Auch darin war er noch ganz der alte, in dieser absoluten Hu-morlosigkeit. Er sprach ohne die geringste Spur von Spott, Witz oder gar Gefühl, in automatischer, unpersönlicher Weise, obwohl das, was er jetzt sagte, damals aus seinem Mund undenkbar gewesen wäre.
    »Lassen Sie den Blödsinn und Ihre Ticks, ich bin zu alt, als daß man sich über mich lustig machen könnte.« Dr. Rebagliati wandte sich zu uns und brauchte einen Zeugen. »Haben Sie schon einmal etwas so Verrücktes gehört? Daß jemand die Polizeireviere von Lima schneller zu Fuß ablaufen kann als im Bus? Und dieser Herr will, daß ich den Quatsch schlucke.« Er wandte sich wieder an den bolivianischen Schreiber, der den Blick von ihm nicht einmal gewandt hatte, um uns auch nur aus dem Augenwinkel anzusehen: »Ich brauche Sie wohl nicht daran zu erinnern, denn ich kann mir vorstellen, Sie denken jedes Mal, wenn Sie vor einem gefüllten Teller sitzen, daran, daß man Ihnen hier einen großen Gefallen tut, wenn man Ihnen Arbeit gibt, obwohl wir in einer so üblen Situation sind, daß wir Redakteure entlassen müßten, ganz abgesehen von Zuträgern. Seien Sie dankbar dafür und erfüllen Sie wenigstens Ihre Pflicht.«
    In diesem Augenblick kam Pascual und sagte vom Wandschirm her: »Alles fertig, die Nummer ist in Druck«, und entschuldigte sich, weil er uns hatte warten lassen. Ich ging zu Pedro Camacho, als er hinausgehen wollte:
    »Wie geht es Ihnen, Pedro«, sagte ich und reichte ihm die Hand. »Erinnern Sie sich nicht mehr an mich?« Er sah mich von oben bis unten an, schloß dabei halb die Augen und reckte das Gesicht vor, überrascht, als sähe er mich zum ersten Mal in seinem Leben. Endlich gab er mir die Hand mit einem trockenen und zeremoniellen Gruß, und während er seine charakteristische Verbeugung machte, sagte er: »Angenehm, Pedro Camacho, ein Freund.«
    »Aber, das ist doch nicht möglich«, sagte ich und war sehr verwirrt. »Bin ich so alt geworden?«
    »Spiel nicht den Vergeßlichen«, Pascual schlug ihm auf die Schulter, daß er stolperte. »Erinnerst du dich auch nicht mehr, daß du ständig mit ihm im Bransa deinen Kaffee getrunken hast?«
    »Schon eher Kamille mit Pfefferminze«, scherzte ich und prüfte das aufmerksame und gleichzeitig unbeteiligte Gesicht von Pedro Camacho auf irgendein Zeichen
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