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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Als dessen Neugier mich ganz ausgezehrt hatte, bat ich, das Telephon benutzen zu dürfen. Er zog ein sarkastisches Gesicht:
    »Das ist seit einer Woche gesperrt, weil wir die Rechnung nicht bezahlt haben«, sagte er mit aggressiver Ehrlichkeit. »Denn so, wie Sie uns hier sehen, geht diese Zeitschrift zugrunde, und alle Schwachköpfe, die wir hier arbeiten, mit ihr.« Und mit masochistischem Vergnügen erzählte er mir sofort, daß »Extra« in der Zeit von Odria unter sehr guten Voraussetzungen geboren worden war; das Regime gab Anzeigen und unter der Hand Geld, damit die Zeitschrift bestimmte Leute angreife und andere verteidige. Außerdem war sie eine der wenigen erlaubten Zeitschriften gewesen und verkaufte sich wie frische Semmeln. Aber als Odria ging, begann ein schrecklicher Konkurrenzkampf, und sie ging langsam kaputt. So hatte er sie übernommen, schon als Kadaver. Er hatte sie wieder hochgebracht, hatte die Linie geändert und sie zu einem Boulevardblatt gemacht. Trotz der Schulden, die man mit-sichschleppte, ging alles eine Zeitlang gut. Aber im letzten Jahr, mit dem Anstieg der Papierpreise und der Druck kosten und mit der Kampagne, die ihre Feinde gegen sie anzettelten, und dem Entzug von Anzeigen, war es den Bach hinunter gegangen. Außerdem hatten sie Prozesse verloren gegen Schweine, die sie wegen Diffamierung verklagt hatten. Erschrocken hatten jetzt die Besitzer alle Aktien an die Redakteure verschenkt, um das zerbrochene Geschirr nicht bezahlen zu müssen, wenn sie Pleite machten, und das würde nicht mehr lange auf sich warten lassen, denn in den letzten Wochen sei die Lage schon tragisch: sie hatten kein Geld mehr für die Gehälter, die Leute nahmen Schreibmaschinen mit, verkauften Schreibtische, stahlen alles, was irgendeinen Wert hatte, um dem Zusammenbruch zuvorzukommen. »Das dauert keinen Monat mehr, mein Freund«, wiederholte er und schnaubte dabei mit einer Art glücklichem Mißvergnügen. »Wir sind schon Kadaver, riechen Sie die Fäulnis nicht?« Gerade wollte ich sagen, man rieche sie tatsächlich, als eine spindeldürre Figur, die den Wandschirm nicht beiseitezuschieben brauchte, um durch die Öffnung hereinzukommen, das Gespräch unterbrach. Sie trug einen etwas lächerlichen deutschen Haarschnitt, war wie ein Landstreicher angezogen, mit einem bläulichen Overall, einem geflickten Hemd und einem grauen Pullover, der viel zu eng war. Das Ungewöhnlichste an der Figur waren die Schuhe: ein Paar rötliche Turnschuhe, die so alt waren, daß einer mit einer Schnur um den Fuß gebunden war, als wäre die Sohle lose oder fiele ab. Kaum bemerkte Dr. Rebagliati die Figur, schimpfte er los:
    »Wenn Sie glauben, Sie könnten sich weiter über mich lustig machen, irren Sie sich«, sagte er und ging in so drohender Haltung auf sie zu, daß das Skelett zur Seite hüpfte. »Sollten Sie nicht gestern abend die Ankunft des Monsters von Ayacucho bringen?«
    »Das habe ich, Herr Direktor, ich war hier mit allen erforderlichen Daten, eine halbe Stunde nachdem die Patrouille das Opfer der Gewalttat in der Präfektur auslud«, deklamierte das Männchen.
    Meine Überraschung war so groß, daß ich ein sehr dämliches Gesicht gemacht haben muß. Die perfekte Diktion, das warme Timbre, die ausgesuchten Worte »erforderliche Daten« und »Opfer der Gewalttat« konnten nur von ihm stammen. Aber wie sollte man den bolivianischen Schreiber in dieser Gestalt und diesem Aufzug einer Vogelscheuche wiedererkennen, die Dr. Rebagliati gerade herunterputzte?
    »Lügen Sie nicht, haben Sie wenigstens den Mut, Ihre Fehler zuzugeben. Sie haben das Material nicht gebracht, und Melcochita konnte seine Chronik nicht fertigschreiben, und der Bericht wird nur unvollständig herauskommen, und ich kann unvollständige Chroniken nicht ausstehen, das ist schlechter Journalismus.«
    »Ich habe sie gebracht«, antwortete Pedro Camacho wohlerzogen und ängstlich. »Die Zeitschrift war geschlossen. Es war genau viertel nach elf. Ich habe einen Passanten gefragt, Herr Direktor, und dann, weil mir die Bedeutung der Daten bekannt war, habe ich mich zur Wohnung von Melcochita begeben. Bis 2 Uhr morgens habe ich vor dem Haus gewartet, aber er ist nicht zum Schlafen erschienen. Es ist nicht meine Schuld, Herr Direktor. Die Patrouille, die das Monster brachte, war auf einen Erdrutsch gestoßen und kam um 11 Uhr statt um 9 Uhr an. Bezichtigen Sie mich nicht der Unzuverlässigkeit. Für mich steht die Zeitschrift an erster Stelle, noch vor
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