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Tante Dimity und der unheimliche Sturm

Tante Dimity und der unheimliche Sturm

Titel: Tante Dimity und der unheimliche Sturm
Autoren: Nancy Atherton
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Weltkrieg gedient hatten. Schnell waren sie während jener düsteren Jahre Freundinnen geworden, und nach dem Krieg hatten sie den Kontakt aufrechterhalten, indem sie sich ausführliche Briefe schrieben, die zu Hunderten über den Atlantik hin und her flogen.
    Erst nachdem Dimity Westwood gestorben war, erfuhr ich von dieser Freundschaft und dass sie mir darüber hinaus nicht nur diese wertvolle Korrespondenz vermacht hatte, sondern auch ein honigfarbenes Cottage in den Cotswolds, ein ansehnliches Vermögen sowie ein merkwürdiges Notizbuch, das in dunkelblaues Leder gebunden war.
    Durch dieses Notizbuch lernte ich die liebe Freundin meiner Mutter allmählich kennen. Sobald ich das blaue Büchlein aufschlug, füllten sich die weißen Seiten mit Dimitys anmutiger Schrift, einer altmodisch gestochenen Handschrift, wie man sie seinerzeit in der Dorfschule gelehrt hatte, als Automobile noch ein seltener und wunderlicher Anblick waren. Zwar wäre ich das erste Mal, als Dimitys Worte auf den Seiten erschienen, fast in Ohnmacht gefallen, aber seither hatte ich mich längst an ihre seltsame Gegenwart in meinem Leben gewöhnt.
    Aber niemals würde ich auch nur den Versuch machen, diesen Umstand einem Fremden zu erklären.
    »Nach dem Abendessen werde ich Reginald und das Notizbuch aus dem Büro holen«, sagte ich und füllte Bills Weinglas. »Außerdem werde ich den Akku des Mobiltelefons über Nacht aufladen, sodass ich morgen früh startklar bin.«
    »Bravo.« Bill hob das Glas, um mit mir anzustoßen. »Auf die große Entdeckerin. Auf dass deine Wanderschuhe stets leicht bleiben mögen.«
    Ich lachte und stieß mit ihm an. Jetzt war ich zuversichtlich, dass meine Wanderung genauso angenehm werden würde, wie jedermann zu erwarten schien.

    Wie versprochen, kam Emma bei Morgengrauen zu mir, um mich zum Ausgangspunkt meiner Wanderung zu bringen. Da ich ein Morgenmuffel bin, achtete ich nicht auf die Kurven und Abzweigungen, die sie fuhr, sondern gönnte mir ein zusätzliches Nickerchen. Als wir angekommen waren, weckte Emma mich.
    »Ich weiß wirklich nicht, wie du es schaffst, an einem so schönen Morgen wieder einzuschlafen«, sagte sie. »Du bist ein hoffnungsloser Fall.«
    »Ja, es ist tragisch, aber wahr«, stimmte ich gähnend zu.
    »Hör mal, Lori, ich will dich nicht unter Druck setzen, also wenn du dich nicht in der Lage fühlst …«
    »Doch«, fiel ich ihr ins Wort, »ich werde das schon schaffen.« Ich drehte mich um und nahm den Rucksack von der hinteren Sitzbank.
    »Wenn du meinst.« Emma sah mich zweifelnd an. »Aber um Himmels willen bleib auf dem vorgesehenen Weg. Wenn du das Ziel erreicht hast, werde ich auf dich warten.«
    Ich stieg aus dem Wagen und winkte, bis Emma aus meinem Blickfeld verschwunden war.
    Es war ein wundervoller Tag. Die Morgenluft war frisch, aber nicht eisig, und nur ein leichtes Lüftchen bewegte die dunklen Locken, die unter meiner Zipfelmütze hervorschauten. Hoch oben am stahlblauen Himmel hing ein zerrissener Wolkenschleier, und als einziges Geräusch war das Rascheln vertrockneter Blätter zu hören, die sich noch an winterlich karge Äste klammerten.
    Ein paar Meter entfernt zu meiner Rechten stand ein Wegweiser mit einem bunten Pfeil, der den Beginn des Wanderwegs markierte. Ich sah, dass ich über einen Zaunübertritt klettern musste, um den Weg zu erreichen, aber ich hatte nichts gegen ein wenig Frühgymnastik einzuwenden. Die frische Luft hatte meine Schläfrigkeit vertrieben. Ich fühlte mich wachsam, lebendig und bereit für alle Schandtaten.
    »Emma wäre zufrieden mit mir«, versicherte ich mir. »Ihre Wanderkur scheint bereits Wirkung zu zeigen – dabei habe ich noch nicht einmal einen Schritt getan.« Grinsend streifte ich mir die gepolsterten Riemen meines Rucksacks über die Schultern, rückte ihn in eine bequeme Position, stopfte meine Wollhandschuhe in die Taschen meiner leichten Daunenjacke und zog den Reißverschluss auf. Es war so mild, dass mein cremefarbener Baumwollpullover und meine Jeans ausreichend warm sein würden, wenn ich mich erst einmal bewegte.
    »Halt dich gut fest, Reg«, sagte ich und fasste nach hinten, um die Hasenohren zu kraulen. »Da vorn ist ein Zaun, der erklommen werden will.«
    Ohne Pause wanderte ich drei Stunden. Der Weg führte an einigen Weiden vorbei, auf denen zu meiner großen Enttäuschung weit und breit keine Schafe zu sehen waren, ehe er langsam in ein bewaldetes Tal hinabführte. Als ich die ordentlich mit Hecken umgebenen
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