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Tangenten

Tangenten

Titel: Tangenten
Autoren: Greg Bear
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Seine Augen glänzten und waren ein wenig feucht. »Außerdem sage ich ja nicht, daß jede Zelle eine klar abgegrenzte Einheit ist. Sie haben zusammengearbeitet.«
    »Wie viele Bakterien waren in den Schalen, die du vernichtet hast?«
    »Milliarden. Keine Ahnung.« Er grinste. »Du hast’s kapiert, Edward. Ganze Planetenpopulationen von E. coli.«
    »Aber da haben sie dich noch nicht gefeuert?«
    »Nein. Zunächst mal wußten sie ja gar nicht, was da vorging. Ich baute weiterhin die Moleküle zusammen und machte sie immer größer und komplexer. Als die Aufnahmefähigkeit der Bakterien an ihre Grenzen stieß, nahm ich mein eigenes Blut, präparierte weiße Blutkörperchen heraus und injizierte ihnen die neuen Biochips. Ich beobachtete sie, setzte sie in Labyrinthe und stellte sie vor kleine chemische Probleme. Sie waren echte Kanonen. Auf dieser Ebene läuft die Zeit wesentlich schneller; die Informationswege sind viel kürzer, und die Umgebung ist viel einfacher. Dann vergaß ich, eine Datei in den Laborcomputer unter meinem Geheimcode abzuspeichern. Ein paar Manager haben sie gefunden und geahnt, was ich vorhatte. Die sind alle in Panik geraten. Sie dachten, wir würden wegen dem, was ich getan hatte, bald jeden gesellschaftlichen Wachhund im ganzen Land an den Hacken haben. Sie fingen an, meine Arbeit zu zerstören und meine Programme zu löschen. Sie befahlen mir, meine weißen Blutkörperchen zu sterilisieren. Herrgott!« Er zog den weißen Kittel aus und begann sich anzuziehen. »Mir blieben nur ein oder zwei Tage. Ich präparierte die komplexesten Zellen heraus…«
    »Wie komplex waren sie?«
    »Sie bildeten Haufen von jeweils rund hundert Zellen, wie die Bakterien. Jeder Haufen war vielleicht so klug wie ein zehnjähriges Kind.« Er musterte einen Moment lang aufmerksam mein Gesicht. »Immer noch Zweifel? Soll ich dir vorrechnen, wie viele Nukleotidenpaare es in der Zelle eines Säugetiers gibt? Ich hab meine Computer maßgeschneidert, damit sie die Kapazität der weißen Blutkörperchen ausnutzen konnten. Zehn Milliarden Nukleotidenpaare, Edward. Zehn hoch Scheiß-Zehn. Und sie haben keinen riesigen Körper, um den sie sich kümmern müssen, was einen Großteil ihrer Denkzeit beansprucht.«
    »Okay«, sagte ich. »Ich bin überzeugt. Was hast du gemacht?«
    »Ich hab die Zellen wieder in einen Zylinder mit normalem Blut gegeben und es mir selbst injiziert.« Er knöpfte sich den Hemdkragen zu und lächelte mich dünn an. »Ich hatte ihnen so viel Energie einprogrammiert, wie ich konnte, und zwar auf einer so hohen Ebene wie möglich, indem ich nur Enzyme und solche Dinge benutzte. Danach waren sie auf sich selbst angewiesen.«
    »Du hast sie darauf programmiert, hinzugehen und sich zu mehren, sich zu vervollkommnen?« wiederholte ich.
    »Ich glaube, sie entwickelten ein paar charakteristische Eigenschaften, die die Biochips in ihren E. coli- Phasen angenommen hatten. Die weißen Blutkörperchen konnten sich mit nach außen gestülptem Gedächtnis untereinander verständigen. Sie haben fast mit Sicherheit Mittel und Wege gefunden, andere Zellarten in sich aufzunehmen und sie zu verändern, ohne sie zu töten.«
    »Du bist verrückt.«
    »Du siehst doch das Bild auf dem Schirm! Edward, ich bin seither nicht mehr krank gewesen. Früher war ich doch ständig erkältet. Ich hab mich nie besser gefühlt.«
    »Sie sind in dir drin, finden irgendwas und ändern es.«
    »Und inzwischen ist jeder Haufen so klug wie du oder ich.«
    »Du bist ja völlig wahnsinnig.«
    Er zuckte die Achseln. »Sie haben mich gefeuert. Sie dachten, ich würde mich dafür rächen, was sie mit meiner Arbeit gemacht hatten. Sie verboten mir, die Labors zu betreten, und ich hatte bis jetzt keine Chance festzustellen, was in mir vorgegangen ist. Seit drei Monaten.«
    »Dann…« Meine Gedanken rasten. »Dann hast du abgenommen, weil sie deinen Fettstoffwechsel verbessert haben. Deine Knochen sind stärker, dein Rückgrat ist völlig umgebaut worden…«
    »Keine Rückenschmerzen mehr, auch nicht, wenn ich auf meiner alten Matratze schlafe.«
    »Dein Herz sieht anders aus.«
    »Das mit dem Herz wußte ich nicht.« Er betrachtete das Videobild aus ein paar Zentimetern Entfernung. »Was das Fett angeht – darüber hab ich nachgedacht. Sie konnten meine braunen Zellen vermehren und den Stoffwechsel regeln. Ich bin in letzter Zeit nicht mehr so hungrig. Meine Eßgewohnheiten haben sich nicht so sehr verändert – ich mag immer noch den gleichen
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