Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
talon014

talon014

Titel: talon014
Autoren: Blutmond
Vom Netzwerk:
Alleine dass ich hier draußen bin, ist ein Wagnis. Auch ich müsste mich in den Tiefen der Mauern verborgen halten.]
    Nachdenklich richtete Talon seinen Blick in die Ferne. Es schien ihm, als bestehe die ganze Welt in diesem Augenblick nur aus dem Felsen, auf dem er saß, und dem Bild, das die Landschaft vor ihm erfüllte.
    „Wann geht es los?“, fragte er den schwarzen Löwen unvermittelt, ohne ihn dabei anzusehen.
    [Morgen. Dann hat der Mond seine volle Größe erreicht.]
    Schweigend nickte Talon. Unter ihm zeichnete sich der gedrungene, weitläufige Bau der Tempelanlage schemenhaft im Dunkel der Nacht ab.

    Fast schon bedächtig strich die prankenhafte Hand über den dunklen Stein.
    Eser Kru blickte auf das Relief des sarkophagähnlichen Gebildes, das neben weiteren aufrecht stehend in einer Nische tief verborgen im Inneren des Tempels ruhte. Die feinen Arbeiten auf der Oberfläche der Sarkophage waren mutwillig zerstört worden, so dass sich die Linien der Gesichter nicht erkennen ließen, die den Deckel einst verziert hatten.
    „Heute Nacht“, flüsterte er mit belegter Stimme. „Dann hole ich euch zurück.“
    In dieser Nacht würde der Mond seine volle Größe erreichen. Dann ließen sich Kräfte freisetzen, die es ihm ermöglichten, einen weiteren Baustein aus der Vergangenheit zurück zu holen. Nur widerwillig hatte er sich eingestehen müssen, dass es ihm nicht gelingen würde, das Land wieder alleine unter seine Kontrolle zu bringen. Er war angewiesen auf die Hilfe anderer. Doch die einzigen Menschen, denen er zutraute, ihm auf seinem Weg zu folgen, waren tot – begraben seit Jahrtausenden unter Schichten des Vergessenes und des Zerfalls.
    Seine Familie war so alt wie die ersten Zivilisationen, die diese Gegend besiedelt hatten. In ihnen war der Geist all dessen verkörpert, was die Menschen beseelte. Zusammen mit den ersten Priesterkönigen, die diesen Tempel erst hatten erbauen lassen, konnte er die Stämme davon überzeugen, sich ihm anzuschließen.
    Das Bild eines schwarzen Löwen schoss ihm durch den Kopf. Shion … er hatte die gefangenen Wächter befreit, und mochten die Götter wissen, wohin er mit ihnen geflohen war.
    Einen Tag noch, dann würde er die schattenhafte Bestie jagen – und stellen – können. Mit der Hilfe seiner Ahnen war der Löwe keine Bedrohung mehr.
    Nachdenklich schritt Eser Kru die breiten Treppen nach oben. Die Ruhe, die fast greifbar die weiten Hallen und Gänge durchzog, legte sich wie ein schwerer Mantel auf sein Bewusstsein, der ihn einhüllte wie ein Traumwerk längst vergangener Zeiten. Fast erleichtert atmete er auf, als er die oberen Galerien erreichte, die vom Tageslicht erhellt wurden, das in breiten Bahnen durch schmale Schlitze ins Innere des Gebäudes fiel.
    Mit mächtigen Schritten ließ er die verlassenen Regionen des Tempels hinter sich und steuerte auf den Haupttrakt zu, in dem neben seinen Räumen auch der große Empfangsbereich lag.
    Eine Gruppe von Personen erwartete ihn am Eingang des weitläufigen Saals, an dessen gegenüberliegendem Ende durch die hohen Fensteröffnungen das Bild des Dschungels fiel, gekrönt von einem weiten, blassblauen Himmel.
    Eser Kru erkannte die meisten von ihnen als die wenigen verbliebenen Männer und Frauen, die ihm noch geblieben waren. Es waren acht von ihnen, die eng beieinander standen und sich offensichtlich unbehaglich fühlten. Der Hüne war etwas verärgert. Er hatte feste Zeiten, zu denen er seine Leute konsultierte, und er duldete es nicht, wenn sie sich in einem Bereich des Tempels befanden, den er für sich und seine Ruhe beanspruchte.
    „Was wollt ihr?“, herrschte er sie an, noch bevor er die Gruppe erreicht hatte. Seine tiefe Stimme hallte durch den hohen Gang und brach sich an den Wänden. Augenblicke lang wagte keiner von ihnen zu sprechen. Sie tauschten eine Vielzahl von Blicken aus, bis ein dürrer, älterer Mann mit einem ungepflegten, kurzen Bart das Wort ergriff.
    „Herr“, begann er zögerlich. „Wir – – wir wissen, dass wir nicht stören sollten. Doch, das, was die letzten Tage über passiert ist … es beunruhigt uns!“
    „Ja? Und?“, entgegnete Eser Kru desinteressiert.
    Eine Frau mit kurz geschorenen Haaren riss allen Mut zusammen und legte ihm ihre Hand auf den Unterarm.
    „Wir sorgen uns um unsere Familien, Herr. Wir wissen nicht, ob sie noch leben!“
    Eser Kru wandte den Kopf und sah die Frau verärgert an. Er schüttelte ihre Hand ab und streckte ihr drohend den Zeigefinger
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher