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Tages-Deal: Kudamm 216 - Erbsünde (German Edition)

Tages-Deal: Kudamm 216 - Erbsünde (German Edition)

Titel: Tages-Deal: Kudamm 216 - Erbsünde (German Edition)
Autoren: Nika Lubitsch
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gekommen, sogar ein paar Fotografen, dass Linda den Überblick verloren hatte. Ein Mann vom Beerdigungsinstitut gab ihnen das Zeichen zum Eintreten in die Kapelle. Nils und Bernie gingen zu dem schwarzen Flügel, der am Vortag aufgestellt worden war.
    Linda wartete darauf, dass Siggis Ehefrau Sabine und seine Tochter Carlotta voran gingen, aber sie standen neben ihr wie angewurzelt.
    „Nun kommt“, sagte Linda und legte ihre Arme um Sabine und Carlotta, um sie auf den richtigen Platz in der ersten Reihe zu führen. Sie spürte die Knochen unter Carlottas schwarzem Anzug und die Speckrollen unter Bienes Kleid.
    Nils spielte ein Geigen-Solo. Linda dachte: Er sieht aus wie Siggi, früher. Die gleichen leicht hängenden Augenlider. Die gleichen, immer etwas langsamen Bewegungen. Die gekrümmte, Sprenglersche Nase. Das volle, wellige, dunkelblonde Haar. Und die Chirurgenhände. Ist es die Geige, die so herzzerreißend schluchzt?
    „Vorbei. Was für ein dummes Wort …“, begann der Pfarrer seine Rede.
    Der Pfarrer schwätzt eine Menge Blödsinn, dachte Linda. Die Wahrheit, Siggi, die Wahrheit willst du bestimmt nicht hören. Und ich auch nicht. Niemand will die Wahrheit hören.
    ‚Und was ist die Wahrheit, Lindi?‘
    Die Wahrheit, lieber Sigurd ist, dass du tot bist. T O T. Vorbei. Daran können weder der liebe Gott noch ein Goethe-Zitat etwas ändern. Weißt du eigentlich, dass ich immer geglaubt habe, dass auch Klara in unsere Köpfe gucken konnte? Manchmal, später, da hat Klara mich angeschaut, sie hat herunter geschaut, auf uns, Siggi, ich habe ihren vorwurfsvollen Blick im gleißenden Licht des Operationssaales gespürt. Nicht Mami hat zugeguckt. Klara hat direkt in meinen Kopf gestarrt, mit ihren kalten, blauen Knopfaugen.
    ‚Jetzt redest du eine Menge Blödsinn, Lindi!‘
    „… und nehmen wir Abschied von dir, Sigurd Sprengler, begnadeter Chirurg, liebevoller Ehemann, Vater und Bruder. Du hast mit dem Messer Leben lebenswerter gemacht und so manches gerettet. Deinem Leben wurde durch die Kraft eines Messers ein irdisches Ende gesetzt …“
    Carlottas fein geschnittenes Gesicht war weißer als die Wände in der Klinik. Was für ein Kontrast zu ihren Augenschatten. Biene schnäuzte in ihr Taschentuch. Hör auf zu heulen, Biene, flehte Linda sie wortlos an, weißt du nicht, dass Siggi direkt in deinen Kopf gucken kann? Sie fragte sich, was er unter der grässlichen, hennaroten Kleinmädchenfrisur wohl sehen könnte.
    Keine Reden, außer vom Pfarrer, hatte Linda entschieden. Als er fertig war mit seiner frommen Rede, ließ Bernie seine Hände über die Klaviatur gleiten und entlockte ihr Gänsehauttöne. Bernie war auch am Flügel ein Genie. Er spielte Bach, begleitet von Nils.
    Bernie war der letzte, der Siggi lebend gesehen hatte. Keine vierhundert Meter von seinem New Yorker Apartment entfernt, hatte man Siggis Leiche im Central Park gefunden. Raubmord, befand die New Yorker Polizei.
    Aber ich weiß es besser, dachte Linda. In unseren Kreisen lässt man arbeiten. Unsere Kreise sind heute vollzählig angetreten zu einem letzten Gebet.
    ‚Jetzt bist du es, die heult, Lindi.‘
    Ich habe an die Goldulmen gedacht, Siggi. An die Sommertage, an denen wir mit Alice und Bernie bei den Goldulmen gesessen haben. Nils ist damals schon Bernie nicht von der Seite gewichen. Wie er da so stand, im Garten, der Zwerg mit seiner Geige, und der Maestro ihm gezeigt hat, wie man den Bogen richtig hält. Und Biene, wie hübsch sie damals war. Mit ihrem dicken, blonden Zopf, ihrer schlanken, hochgewachsenen Figur. In ihrem weißen Spitzenkleid saß sie auf dem Rasen und kleckste mit Carlotta Wasserfarbe auf Tapetenreste. Wir haben uns zugeprostet, du und ich. Du brauchtest nicht zu sterben, Siggi, um in meinen Kopf zu krauchen. Wir hatten immer zur gleichen Zeit die gleichen Gedanken. Wir haben uns in die Augen geschaut und gedacht: Wie eine Szene von Renoir.
    ‚Wir besitzen einen Renoir, Lindi.‘
    Ja, einen Renoir, zwei Monets, drei Lesser Urys. Und eine ganze Menge mehr. Wenn ich nicht gewesen wäre, dann würde Nils heute bei Seniorennachmittagen Richard Strauss spielen. Schau auf seine Hände, Siggi. Das sind Chirurgenhände!

Gedächtnisprotokoll Bernhard Goldsmith
    Aufgenommen von AvK am 17.7. in Berlin, betrifft: Sprenglers letzter Abend in New York
    „Es war am 3. Mai dieses Jahres. Sigurd Sprengler hatte sich überraschend angekündigt für den Abend. Er sah nicht gut aus, mein alter Freund Siggi aus meinen
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