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Sweet about me

Sweet about me

Titel: Sweet about me
Autoren: Dietmar Sous
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hatte. Ganz anders als Simon and Garfunkel und die Kinks, die Stones und die Small Faces. Seine Stimme klang zerbrechlich, der Sänger schien sich nicht in den Vordergrund drängen, das Lied und die Begleitmusiker nicht beherrschen zu wollen wie Mick Jagger. Den Text verstand ich ganz gut, Englisch war mein Ausgleichsfach für Mathe. Er handelte von Liebe, und obwohl die Worte Trennung, Betrug und Schmerz nicht vorkamen, hörte sich der Sänger so traurig an, als sei seine Familie auch zum Teufel gegangen. Ich wünschte, das Lied würde nie aufhören. Aber dann mischte sich ein Rundfunksprecher ein, er sagte den Namen des Sängers und Trompeters, Chet Baker, und dass die Musik Jazz sei. Unser Musiklehrer hatte uns beigebracht, von Jazz kriege man Kopf- und Ohrenschmerzen, doch ich war jetzt auf dem Weg der Besserung.
    Meine Mutter weinte meinem Vater nicht nach. Sie verbrannte seine Fotos, zerriss und zertrümmerte seine Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke und kaufte sich einen neuen Lippenstift. Ihre Röcke wurden kürzer. Sie tuschelte mit ihrer besten Freundin, und abends ging sie manchmal in Begleitung einer Parfümwolke aus.
    An einem Sonntag im Frühsommer 1966, in England war gerade die Wembleytor- WM , beschäftigte sie sich den ganzen Vormittag mit einem Sauerbraten und dem Toupieren ihrer Haare. Punkt zwölf läutete es. Meine Mutter stellte mir ohne Umschweife meinen neuen Vater vor. Der hatte Blumen und Pralinen für sie und einen Spielzeugpanzer für mich dabei und komischerweise denselben Vornamen wie mein erster Vater; was das betraf, mussten wir uns also nicht umstellen.
    Aber sonst war Karl-Heinz II . ganz anders: Seinen Fingern fehlte nichts und von einer Glatze keine Spur. Er trank Bier und Schnaps in Mengen, als sei er gegen Nierenversagen, Leberzirrhose und Schwachsinn geimpft. Sprach jemand das Wort Grippe aus, musste er nicht gleich niesen, husten oder das Bett hüten. Er war kein Büromensch. Mit einer Stimme, die nicht leise sein konnte, erzählte er von seiner Arbeit auf einem arabischen Ölfeld. Für alles war er da zu gebrauchen gewesen, Maurer, Elektriker, Schweißer, Schlosser, Zimmermann. Schließlich hatten ihn die » Kameltreiber«, wie er die Araber gern nannte, sogar zum Leibwächter des Scheichs befördert.
    Ich sollte auch alle Handgriffe beherrschen, um später gutes Geld in der Ölbranche verdienen zu können, deshalb holte er meinen Werkzeugkasten aus dem Versteck. Der neue Vater lachte schallend und nannte mich einen Rohrkrepierer, eine kleine Lusche, als ich mich auf einer Wasserwaage wiegen wollte. Und als er mein Geschrei hörte und die Tränen sah, weil die Kneifzange mich gekniffen hatte, nannte er mich zum ersten Mal Memme. Ich hörte aber nicht auf zu heulen, und da machte mir mein zweiter Vater mit seinen großen Handwerkerhänden blaue Flecken an den Oberarmen, bevor er mich hochhob und wild schüttelte. Damit ich mir meinen neuen Vornamen gut merkte, wiederholte Karl-Heinz II . ihn dreimal. Memme, Memme, Memme.

3
    A n einem Dienstag Anfang September, elf Monate nach Mayas Tod, zogen wir Michelle in unser Unglück hinein.
    Der Himmel war fast wolkenlos. Ein Vogelschwarm flog vor uns davon. Auf einer Bank saß eine alte Frau mit bandagierten Beinen, die ihrem Hund aus der Zeitung vorlas. Friedhofsgärtner beendeten ihre Mittagspause. Ich las die Grabinschriften, das nahm mir die schweren Gedanken. Eheleute Adolf & Hedwig Sauermilch. Fünfzig Schritte weiter ruhte Elli Busen. Und am Ende von Reihe 9 mein Favorit: Franz Mörder. Trotz seines Nachnamens, der ihm das Leben bestimmt nicht leicht gemacht hatte, war der Mann 83 Jahre alt geworden.
    Mayas Grabstein aus Buntsandstein war wie ein Schmetterling geformt. Mohn- und Kornblumen, Mayas Lieblingspflanzen, säumten das Grab. Das kleine Briefmarkenalbum lag aufgeschlagen in einem Glaskasten, zusammen mit der CD Sweet About Me und einem Foto des Schauspielers Johnny Depp. Daneben eine Handvoll Muschelschalen, drei getrocknete Seesterne und ein paar Haifischzähne, Geschenke von Frau de Lijser, die den Unfallwagen gefahren hatte. Die langstieligen gelben Rosen waren von den Rehbergs. Einmal im Monat kamen sie und brachten Blumen.
    Die Rehbergs hatten ausgesagt, Frau de Lijser sei nicht schneller als dreißig gefahren. Die Länge der Bremsspur hatte ihnen recht gegeben. Maya, so die beiden weiter, habe weinend am Straßenrand gestanden und dann im für sie und die Fahrerin ungünstigsten Moment die Straße überquert. Es
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