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Sweet about me

Sweet about me

Titel: Sweet about me
Autoren: Dietmar Sous
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keinen Fall mehr, weil er Angst hatte, an Nierenversagen, Leberzirrhose und Schwachsinn zu erkranken –, kippte um, zerbrach aber nicht.
    » Finger weg, hab ich gesagt, verdammt noch mal!«
    Der Werkzeugkasten war zwar ein Geschenk für mich, durfte aber nur von meinem Vater benutzt werden. Er gestattete mir, aus sicherer Entfernung dabei zuzusehen, wie er mit einem Bleistift einen großen Stern auf eine Holzplatte zeichnete und dann zur Laubsäge griff, die eigentlich zu klein für seine Hände war. Vielleicht dauerte es deshalb so lange, bis er es schaffte, ein Sägeblatt einzuspannen. Im Radio sang ein Kinderchor Aber Heitschi Bumbeitschi Bumbum. Mein Vater sägte und schnaufte, er öffnete zwei Knöpfe des weißen Hemds, das er geschenkt bekommen und sofort anprobiert hatte, weil meine Mutter befürchtete, es könne am Kragen zu eng sein. Sie rückte mit dem Staubsauger an, um das Sägemehl wegzusaugen, das wie dünner Schnee auf den Teppich rieselte.
    Das Sägeblatt brach, es musste ausgetauscht werden. Dabei verletzte sich mein Vater, eine kleine Schnittwunde am Daumen. » Verbandszeug, verdammte Scheiße, schnell, oder soll ich verbluten!« Mein Vater übertönte Kinderchor und Staubsauger.
    Meine Mutter musste ihn zum zweiten Mal an diesem Tag daran erinnern, dass seine Ausdrucksweise nicht zu Weihnachten passte. Das erste Mal hatte sie das nachmittags getan, als mein Vater versuchte, den Weihnachtsbaum aufzustellen. Ein ungleicher Kampf, in dem viele böse Wörter fielen und der erst zu unseren Gunsten entschieden war, als meine Mutter die Sache in die Hand nahm.
    Der Kinderchor sang Eine Muh, eine Mäh, eine Tätärätätä, eine Tuhute, eine Ruhute. Endlich konnte mein Vater die Säge beiseitelegen. Vorsichtig tastete er den Rand des Sterns ab, auf der Suche nach hinterlistigen Holzsplittern, denen er zutraute, Wundbrand und Blutvergiftung hervorzurufen. Dann wurde der Stern über dem Krippenbett des kleinen Wachs-Jesus befestigt. » Schön, nicht?«, sagte meine Mutter und strich mir merkwürdig euphorisch über die Wangen. Mein Vater klappte leise den Werkzeugkasten zu und schlich aus dem nach Tannenharz, Wunderkerzenschwefel und Zimtgebäck riechenden Wohnzimmer, um das gefährliche Geschenk vor mir zu verstecken. Meine Mutter lenkte plappernd meine Aufmerksamkeit auf den Weihnachtsbaum und die Krippe, obwohl es da nichts gab, was ich nicht schon seit Jahren kannte. Aber dann passierte doch etwas. Mein Vater hatte den ausgesägten Stern nicht richtig festgemacht. Der schwere Fünfzack fiel herunter und schlug dem Jesuskind den Kopf ab.
    Das nächste Weihnachtsfest fand ohne meinen ersten Vater statt. Er lebte seit dem Sommer mit einer Sprechstundenhilfe zusammen, die er bei einem seiner Arztbesuche kennengelernt hatte. Immerhin verdankte ich seinem Auszug zwei schulfreie Tage; man sollte meine verheulten Augen nicht sehen. Und obendrein bekam ich ein fast neues Transistorradio der Marke Nordmende Stradella, Sperrholzgehäuse mit rotem Kunstlederbezug und braunem Tragegriff. UKW , Mittel- und Langwelle. Neupreis 269 Mark!
    Bevor die Sprechstundenhilfe in das Leben meines Vaters getreten war, hatten meine Eltern bauen wollen. Weil sie dafür viel Geld brauchten, hatte mein Vater in seiner Firma zusätzlich den Posten des Nachtwächters übernommen, am Wochenende und an Feiertagen. Damit er nicht einschlief vor Langeweile, hatte er das Radio angeschafft. Ich hatte es einmal auf mein Zimmer mitgenommen, ohne ihn um Erlaubnis zu fragen. Da hatte er getobt und immer wieder und ohne abzurunden hysterisch den Preis genannt: » 269 Mark! 269 Mark!«
    Am Tag, als er seine Sachen abholte, stand er vor meiner Tür, klopfte leise und bettelte, ich solle aufmachen, er habe ein Geschenk für mich. Nachdem er einen neuen Weltrekord im Anklopfen und Bitte-Sagen aufgestellt hatte, haute er schließlich ab. Da musste ich noch mehr weinen. Draußen vor dem Fenster das Lachen glücklicher, nicht verwaister Kinder beim Fußball- und Versteckenspielen.
    Um meinen Vater zu bestrafen, kümmerte ich mich stundenlang nicht um sein Geschenk. Es war schon dunkel, da gab ich doch nach. Meine Mutter hatte mir das Abendbrot vor die Tür gestellt, mein Vater sein Transistorradio. Ich aß nichts, schwor mir außerdem, das Radio nie, nie einzuschalten. Gegen elf Uhr nachts war es so weit. Das Erste, was ich hörte, war ein Klavier. Dann eine Trompete, und nach einer Minute fing einer an zu singen, wie ich noch nie einen singen gehört
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