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Sweet about me

Sweet about me

Titel: Sweet about me
Autoren: Dietmar Sous
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kalter Höflichkeit. Am liebsten wäre ich wieder gegangen. Aber das wäre schlecht für die Völkerverständigung gewesen.
    Ich trank den Schnaps wie ein Profi, schüttelte mich wie ein Amateur. Der Laden war trist wie eine Fernfahrerabsteige im Niemandsland von Sachsen-Anhalt, die Musik klang verkatert. Am anderen Ende des Tresens gaben sich ein paar Deutsche den Rest. Ich glotzte das Dekolleté auf einem Titelbild an. Ohne es bestellt zu haben, wurde mir ein zweites Glas serviert.
    » Holland ist Käse, Holland ist Quark«, grölten die Deutschen. Ich vergiftete mich noch einmal gehorsam. Dann nichts wie raus. Hinter meiner Stirn verbündeten sich stechende und bohrende Schmerzen gegen mich. Dass ich dem Thekenmann ein viel zu hohes Trinkgeld gegeben hatte, ärgerte und deprimierte mich. Kränklicher Mond, der Wind hatte keinen Mumm. Ich stolperte über Strandgut und Dünen, brüllte Be Sure To Wear Some Flowers In Your Hair. In der gleichen Lautstärke erklärte ich Geneverproduzenten und Deutschen im Ausland den Krieg. Als ich die blinkenden Blaulichter sah, war ich noch einen knappen Kilometer von unserem Ferienhaus entfernt. Ich hörte Schmetterlinge schreien und bekam es mit der großen Angst zu tun. Ich begann zu rennen, rannte, wie ich noch nie zuvor gerannt war.

2
    E s geht mir nicht darum, jemand anderem die Schuld zu geben. Ein Mann meines Alters muss nicht gleich durchdrehen, wenn seine halbwüchsige Tochter ihn erst eine Pfeife, dann einen alten Sack und schließlich eine Memme nennt. Aber um mein Verhalten, mit dem ich alles zerstört habe, vielleicht verstehen zu können, muss man die Geschichte mit meinen beiden Vätern kennen.
    Mein erster Vater hatte als Vierjähriger in einem unbewachten Moment mit einer Heckenschere hantiert und sich dabei zwei Fingerkuppen abgeschnitten. Deshalb durfte ich, obwohl ein Junge, wie Dornröschen kein Werkzeug anfassen. Scheren, Zangen und Sägen kannten, so mein Vater, nur ein Ziel: meine Verstümmelung. Warnend fuchtelte er mit seiner lädierten Hand vor meinen Augen herum, dabei schob er den Unterkiefer vor und verzog den Mund, als seien die Spitzen seines rechten Zeige- und Mittelfingers eben erst skalpiert worden, die Schmerzen unerträglich frisch. Meine Mutter unterbrach das Kartoffelschälen. Sie wischte sich schnell die Hände ab, bevor sie das Radio ausschaltete, einen brummenden, dunkelbraunen Kasten der Firma Loewe-Opta. Der Westdeutsche Rundfunk hatte ohne Sinn für Pietät einen fröhlichen Walzer von der schönen blauen Donau gebracht.
    Weihnachten 1965 war ich zehn Jahre alt. Damit meine Wünsche nicht verloren gingen, vervielfältigte ich meinen Wunschzettel in Schönschrift ungefähr fünfzigmal. Die Zettel steckte ich in die Hosen-, Mantel- und Einkaufstaschen meiner Eltern, legte sie auf ihr Kopfkissen, schob sie vor dem Mittagessen unter ihren Suppenteller. Mit unübersehbar großen Buchstaben bat ich um einen Plattenspieler und The Sound Of Silence von Simon and Garfunkel.
    » Wer dem Herrn vertraut, wird niemals enttäuscht werden«, predigte der Pastor am vierten Adventssonntag. Ich vertraute dem Allmächtigen, meine Eltern dazu zu bringen, mir einen Plattenspieler von Dual und eine Schallplatte aus Amerika zu kaufen, die auf dem besten Weg war, Nummer eins in den US -Single-Charts zu werden. Sicherheitshalber spendierte ich Gott vor dem Einschlafen ein paar zusätzliche, mit Elan gemurmelte Vaterunser.
    Als hätte es nie eine Heckenschere gegeben, von der das junge Blut meines Vaters getropft war, bekam ich am 24. Dezember gegen neunzehn Uhr wie jeder normale Junge einen Werkzeugkasten aus hellem Holz, in das mit geltungssüchtigem Schwung die Worte Der kleine Handwerksmeister geschnitzt waren sowie die Gestalt eines hammerschwingenden, vor Tatkraft fast platzenden Lockenkopfs, ungefähr so alt wie ich. Meine Werbekampagne war jämmerlich gescheitert. Gott hatte mein Vertrauen missbraucht. Ich hatte dennoch die Größe, mit einem feuchten Schimmer vor den Augen meine Enttäuschung niederzuhalten und sogar scheinbar erfreut » Oh!« zu sagen, nachdem ich den Kasten aufgeklappt hatte: gähnende Zangenmäuler, scharfe Eisenzähne und eine Laubsäge mit vielen Ersatzsägeblättern statt Musik aus New York und einem Plattenteller made in Germany.
    » Finger weg!«, rief mein Vater unweihnachtlich grob und mit so viel Wucht, dass die Wachskerzen zu flackern anfingen. Das einzige Glas Sekt, das er sich an den Feiertagen genehmigen wollte – auf
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