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Survive

Survive

Titel: Survive
Autoren: Alex Morel
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stoße einen kurzen schrillen Laut aus.
    Nancy wirbelt auf ihrem Stuhl zu den Aktenschränken herum und zieht einen Ausweis heraus. Sie wirft mir einen langen Blick zu. Ich schaue zu Boden, verärgert darüber, wie schlecht ich mich in diesen letzten Stunden trotz allem im Griff habe. Reiß dich zusammen, Jane.
    Der Drucker spuckt eine Karte mit meinem Namen und tausend verschiedenen Zahlen und Symbolen aus, und Nancy unterschreibt auf der Rückseite und schiebt die Karte dann in eine laminierte Hülle, an der eine Schnur befestigt ist. Sie reicht die Karte herüber und schärft mir ein, sie nicht zu verlieren.
    »Danke.«
    »Haben Sie das Gelände zuvor schon einmal verlassen? Brauchen Sie eine Beschreibung, wie Sie zum Flughafenbus kommen? Brauchen Sie irgendeine spezielle Hilfe, Jane?«
    »Ja, das heißt, nein, ich brauche keine Hilfe.«
    »Sie kennen die Regeln, nicht wahr? Bis Sie den Flughafen von Newark erreichen und in der Obhut Ihrer Mutter sind, stehen Sie immer noch unter unserer Aufsicht. Mit Ihrem Ausweis können Sie den Klinikbus in die Stadt und wieder zurück benutzen. Von der Stadt aus nehmen Sie an der Ecke Grove Street und Main Street den Shuttlebus zum Flughafen. Sie brauchen kein anderes Transportmittel, und Ihr Betreuer wird Sie bis zum Flughafenbus bringen. Für den Fall, dass Sie voneinander getrennt werden, Sie aus irgendeinem Grund den Bus verpassen oder auch einfach nur nervös werden, steht auf der Rückseite der Karte eine Nummer. Zögern Sie nicht, von ihr Gebrauch zu machen.«
    All das hat man mir bereits mindestens dreimal erklärt, aber ich nicke freundlich.
    »Während Sie in der Stadt sind, müssen Sie sich natürlich an die Regeln Ihres Abstinenzversprechens halten und Ihren Betreuer hinsichtlich Ihrer Pläne in Kenntnis setzen.«
    Ich nicke wieder. »Ja, Ma’am.«
    Sie mustert mich für eine Sekunde von Kopf bis Fuß. Sie prüft meinen Geisteszustand, als sei ich drauf und dran auszuflippen oder so was. Doch die Wahrheit über mich wird sie niemals erkennen können. Ich lass mir nichts anmerken. Cool und undurchdringlich wie pures Eis. Planer sind so. Wenn wir Zeit haben – und ich hatte über sechs Monate – , können wir so ziemlich jeden täuschen. Sicher, ich habe auch meine Ticks, unbedeutende persönliche Angewohnheiten, wie sie die Ärzte gern fein säuberlich mit allen möglichen Begriffen und den entsprechenden Buchstabenkürzeln versehen. Mein Gott, ich denke, alle hier haben solche Macken. Aber das ist nur eine Folge meiner Angst, die mit mir durchgeht. Wie mein ständiges Auf-die-Uhr-Schauen und meine Besessenheit von der Zeit und das alles. Würde ich diesen Ticks freien Lauf lassen, könnten sie mir einen Strich durch die Rechnung machen. Doch mein Plan hält alles unter Kontrolle.
    »Werde ich noch Zeit haben, ein Geschenk für meine Mutter zu kaufen, bevor ich in diesen Bus zum Flughafen steige?«
    Wenn es darum geht, eine Krankenschwester oder einen Pfleger zu täuschen, ist ein wenig Geplauder stets so etwas wie die Schleife auf der Geschenkverpackung. Sie lassen sich durch die kleinen Einzelheiten der Unterhaltung förmlich einwickeln und werden blind für das, was wirklich vor ihnen steht. In diesem Fall eine Patientin, die plant, ihren Schalter umzulegen.
    Die Krankenschwester mustert ein Blatt Papier auf ihrem Schreibtisch. »Ja, es sieht so aus, als sollten Sie etwa eine halbe Stunde Zeit haben, aber besprechen Sie das unbedingt mit Ihrem Betreuer und tragen Sie Ihren Ausweis bei sich, wo immer Sie hingehen.« Sie greift in eine Schublade. »Und hier haben Sie ein Handy.«
    Ich weiß schon Bescheid, aber sie erklärt es mir trotzdem.
    »Es ruft nur diese Nummer an, und Sie sollen es benutzen, wenn irgendetwas schiefgeht oder Sie Hilfe brauchen. Sehen Sie, Sie brauchen nur diesen Knopf zu drücken. Wir werden immer für Sie da sein. Viel Spaß, Jane«, wünscht sie mir mit einem breiten Lächeln. »Fröhliches Weihnachtsshoppen.«
    »Ihnen auch«, antworte ich dümmlich, und sie lächelt, ein wenig zu hart für meinen Geschmack. Ob sie Verdacht geschöpft hat? Habe ich mich irgendwie verraten?

Kapitel 4
    Ich gehe in mein Zimmer zurück und halte den Kopf gesenkt, als ich an der morgendlichen Gruppenrunde von Old Doctor vorbeikomme. Es ist zehn Uhr fünfzig, und mir bleiben nur zehn Minuten, bevor ich meine letzte Sitzung mit ihm habe.
    Je mehr ich mich meinem Zimmer nähere, desto stärker verkrampfen sich meine Lungen. Ich stoße den Atem aus. Es fühlt
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