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Survive

Survive

Titel: Survive
Autoren: Alex Morel
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mein Gesicht stahl, und ich fühlte, wie sich meine Muskeln auf eine unvertraute Weise anspannten. Es überraschte mich, dieses Glück, es zu wissen, es zu planen. Ich weiß immer noch nicht, warum mir dieser Gedanke nie zuvor gekommen war. Aber ich begann an jenem Morgen an der Umsetzung meines Plans zu arbeiten, und er war so grandios und einfach, wie ein Plan nur sein konnte.
    Ich würde gut sein. Ich würde großartig sein. Ich würde besser sein als jeder Patient, der jemals in den Mauern von Life House festgesessen hat. Ich würde lächeln. Ich würde reden. Ich würde Trost spenden. Ich würde mein Inneres offenlegen. Ich würde gehorchen. Und ich würde genug Punkte sammeln, um mir die Heimreise zu verdienen. Es spielte keine Rolle, ob es nur für eine Woche war. Sobald ich an Bord des Flugzeugs saß, würde ich frei sein: von Ärzten, Krankenschwestern, Pflegern, Patienten, meiner Mutter, meinen Erinnerungen, Ängsten und Befürchtungen. Frei, mich in der Passagierkabine zu bewegen. Frei, auf die Toilette zu gehen, die Tür abzuschließen und mich mit Pillen ins Nichts zu katapultieren. Frei zu sterben. Frei, im Nirwana zu leben.
    Als ich an jenem Morgen vor sechs Monaten in meinem Bett lag, wusste ich, dass ich einen Plan gefasst hatte, der funktionieren würde.

Kapitel 3
    »Hi, ich heiße Jane Solis. Ich fliege nach Hause.«
    Ich befinde mich in der Schwesternstation von Life House. Ich muss noch ein paar Sachen erledigen, bevor ich in meinen Flieger steigen kann. Fünf Stunden und siebenunddreißig Minuten.
    Wann immer ich auf die Taschenuhr meines Vaters schaue, schlägt mein Herz Purzelbäume, doch ich kann einfach nicht anders. Mein Körper befindet sich in einem Zustand des fortwährenden Widerspruchs, von lebendiger Erwartung erfüllt, während zugleich alle anderen Gefühle abgestorben sind. Das Verlangen, mein Ding durchzuziehen, treibt mich an, aber im Inneren bin ich kalt und tot wie ein langsam atmender Fisch und hoffe, dass mir endlich jemand den Kopf abhackt. Bleib munter und positiv, Jane. Munter und positiv, den ganzen Tag. Das sage ich mir immer und immer wieder.
    Zuerst muss ich meine Ausweiskarte abholen, die es mir erlaubt, das Gelände zu verlassen. Daher mein Zwischenstopp bei der Schwesternstation. Als Nächstes muss ich eine letzte Sitzung mit Old Doctor hinter mich bringen, der nie auch nur einen einzigen verdammten Termin verpasst. Seine unbeirrbare Pünktlichkeit und Verlässlichkeit nervt mich, obwohl ich glaube, dass genau diese Eigenschaften die Ursache dafür sind, warum er mich so gut versteht. Ich wette, er zählt die Minuten genauso wie ich. (Er trägt zwei Armbanduhren, was soll das?) Wie gewöhnlich graut es mir vor unserem Gespräch. Was ist, wenn er mich durchschaut? Was, wenn er all die Monate nur darauf gewartet hat, mich zu entlarven? Hör auf, dir solche Gedanken zu machen, Jane. Munter und positiv.
    »Was für ein hübscher Name«, sagt die Krankenschwester, eine etwas verbraucht wirkende Frau in weißer Tracht. Sie ist neu oder eine Vertretung für die Feiertage. Auf ihrem Namensschild steht Nancy C. Das ist hier so üblich. Es bringt mich auf den Gedanken, dass die Angestellten wohl nicht wollen, dass irgendeiner von uns ihren vollen Namen kennt. Ich mache ihnen keinen Vorwurf deswegen. Wer weiß, was einige von uns tun könnten, wenn sie hier irgendwann rauskommen.
    Nancy C. ist übergewichtig, und am Scheitel ihres blonden Haares ist ein Fingerbreit der graue Haaransatz sichtbar, aber sie hat warme grüne Augen und gibt sich alle Mühe, eine Verbindung zu mir herzustellen.
    »Jane Solis«, versucht sie es noch einmal, »ein Name wie geschaffen für eine Leuchtreklame.«
    Sie dreht sich in ihrem Stuhl herum und tippt meinen Namen in den Computer. Ich schaue über sie hinweg auf den gerahmten Druck von Cézannes Äpfel und Orangen und sehe dort im Glas mein Spiegelbild wie einen Geist schweben. Mein braunes Haar hängt mir zottig über die Schultern. Bei meiner Ankunft war es kurz geschoren. Jetzt ist es ein ungekämmtes Chaos aus Wellen und Locken. Unter dieser schimmernden Kulisse sind meine schiefergrauen Augen kaum sichtbar, trotzdem quälen sie mich. Ich habe längst aufgehört, in Spiegel zu gucken, daher kommt mir mein Spiegelbild jetzt viel älter vor, als ich es in Erinnerung habe. Eine wirklich merkwürdige Vorstellung. Ich bin bleich und ausgemergelt um die Wangen herum, als kröche der Tod aus meinem Inneren nach außen. Es erschreckt mich, und ich
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