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Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Titel: Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)
Autoren: Claudia Schreiber
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kurzes Machtwort, und schon machten sich alle davon, Motoren heulten, Stille. Nur ein Typ mit Moped blieb in respektvoller Entfernung stehen, auf dem
Rücksitz lag ein zweiter Helm. Fritzi hob ihre Hand zur Beruhigung: »scheis kacke«, stellte sie fest. Sie sagte es nicht höhnisch, es klang eher mitleidig.
    »Lachst du mich aus?«
    »nee.«
    »Du lachst doch?!«
    »nee, escht net.«
    Annie hasste es, ausgelacht zu werden: »Ich sehe deine Zähne, du lachst!«
    »zähne eh, die tu ich trocknen!«
    »Deine Zähne sind nass?«
    »hab wasser im zahn.«
    Ihre verlotterten Kumpel kamen einige Hundert Meter weiter an einer Abzweigung zum Dorf zum Stehen, sie warteten auf ihre Freundin, ließen die Motoren aufheulen und riefen sie damit.
    Annie litt nicht nur unter dem Dreck, der an ihr hing, sondern auch daran, dass sie meist nur in Gesellschaft von Bäumen und Staren war und keinen Motor zum Mitheulen besaß.
    Fritzi wies auf den triefenden Hühnerdünger: »un sons?«
    »Hau bloß ab.«
    Da setzte Fritzi ihren Helm auf, sprang zu dem Jungen aufs Moped und machte sich davon.
    Annie riss sich auf der Stelle die stinkende Shorts vom Leib, Unterhose und Hemd ebenfalls, ließ alles auf der Erde liegen und lief nackt durch die Plantage, allein die Sandalen hatte sie
anbehalten, da der Boden mit Disteln übersät war. Ihre Füße schmatzten bei jedem Schritt im Hühnerkot, es war widerlich. Der Gestank machte aus der Isolierten eine
Aussätzige, mit der nun erst recht keiner zu tun haben wollte. Sie erreichte den Bach und wusch sich, bis sie ganz wund war, fluchte und jammerte weiter vor sich hin. Sie legte ihre
gewaschenen Sandalen in die Sonne und fiel zu guter Letzt erschöpft auf das Metallbett, atmete durch, beruhigte sich, wühlte ihren nackten Körper ins Heu, weinte leise und schlief
endlich erschöpft ein.

WINDBEFRUCHTER
    D as Haus, in dem die drei wohnten, gehörte der Familie schon seit Generationen. Im Erdgeschoss waren die Küche und ein
großzügiges Wohnzimmer mit Kachelofen. Im ersten Stock hatte jeder ein Zimmer mit Holzdielen. Vorn an der wenig befahrenen Straße lag der Gemüsegarten, hinter dem Haus ein Hof
mit Moos zwischen den Steinen, und neben dem Küchenfenster wuchsen gelbe Rosen.
    Jahre zuvor hatte Annie bei Herbstmanövern der Bundeswehr ein Tarnnetz ergattert, das über einen Panzer gespannt war. Das hatte sie über ihr Bett gehängt und sich so eine
herrlich schützende Höhle eingerichtet. Auf dieser Tarnung hatte sich inzwischen ungeheuer viel Staub gesammelt. Wenn sie dann und wann von unten dagegenschnippte, regneten die weichen
Staubflocken auf sie herab wie in einem Wintermärchen. Nette dagegen hatte für diese Form von Schutz oder Romantik keinerlei Verständnis.
    »Bring den dreckigen Mist zum Müll!«
    »Das ist kein Mist, ich unterstütze die NATO damit«, provozierte die Heranwachsende, die genau wusste, wie sie ihre Mutter auf die Palme bringen konnte.
    »Was weißt du denn von der NATO ?«
    Annie verkniff sich ein Grinsen: »Die sichert den Frieden.«
    »Hast du sie nicht alle? Den Frieden? Eine Waffentruppe!«, fluchte Nette und verließ das Zimmer, nicht ohne zu schimpfen: »Und so was hab ich
großgezogen!«
    Mitten im Gemüsegarten stand der einzige Süßkirschenbaum, den die Sauerkirschbauern hatten. Wenn ihre Mutter im Sommer darin auf einem Ast saß, zwischen Blättern
versteckt, und sich den Bauch mit den Früchten vollschlug, schien sie endlich mal zufrieden, strahlte beinahe wie eine Braut, fand Annie. Bloß ohne Schleier und Blumenstrauß, und
ohne Kleid oder Bräutigam, also eigentlich gar nicht wie eine Braut. Sie besaß ein Foto, das sie gern betrachtete: Nette lächelnd in genau diesem Baum. Die Familie hätte sich
gänzlich für Süßkirschen entscheiden sollen, dann wäre das Leben von Nette beschwingt und reich verlaufen, die Kilopreise von Herzkirschen waren auf dem Frischmarkt enorm
hoch. Nun war es dafür zu spät, Bäume wachsen ja nicht über Nacht, und sie hatten die falsche, die saure Sorte am Hals.
    Im Haus wellten sich die matten Tapeten an den Klebekanten, vor den Fenstern hingen trostlose Gardinen aus den Sechzigern mit vergilbten Stores, die aussahen wie Fliegengitter. Die
angeschlagenen braunen Küchenschränke hingen schief, die Armaturen im grün gefliesten Bad klemmten, wackelten oder tropften.
    Obgleich diese Tristesse sie schon lange umgab, konnte Nette sie verschmerzen, wenn sie sich verliebte. Darum tat sie das oft, ohne auf den
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