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Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Titel: Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)
Autoren: Claudia Schreiber
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verderben, weil es sich nicht mehr lohnte, sie für teures Geld pflücken zu lassen. Die Schattenmorellen aus dem Osten waren allesamt billiger, heimische Plantagen wurden
abgeholzt, das eigene Land gewöhnte sich den Obstbau ab. Das hatte der Familie zugesetzt, Annies Mutter war inzwischen sichtlich eine verzagte Frau geworden.
    Die Aufregung über deren Namen ging los, sobald man ihn nannte: Nette-Marie.
    »Die nette Marie?«, zweifelten die neu Hinzugezogenen.
    »Nein!«, giftete die keineswegs immer nette Nette, weil sie es satthatte, das beinahe täglich klarstellen zu müssen. Sie machte ihrem Vater Vorwürfe deswegen:
»Weshalb hast du mir diesen Namen gegeben?«
    Opa seufzte: »Weil es in Norwegen damals so schön war«, und fügte bitter hinzu: »Hat ja keiner ahnen können, dass das Gegenteil von dem herauskommt, wenn’s
älter wird.«
    Die vielen Sticheleien ihrer beiden Erzieher verdarben dem Mädchen die Stimmung nicht, für Annie fing das gute Leben mit der Kirschblüte an und hörte mit den Herbstfeuern
auf. In dieser Zeit erwachte sie frühmorgens und dachte nur ein einziges Wort: Sommer . Sie zog sich in Windeseile Unterhose, Shorts, Hemd und Sandalen an und
war schon draußen. Noch immer lief sie manchmal mit freiem Oberkörper in der Plantage herum, weil es schlicht nichts zu verdecken gab, allenfalls warf sie sich ein verwaschenes T-Shirt
über, wenn ein wenig Wind ging.
    Fünfzehnhundert Bäume standen in dreizehn langen Reihen, ein hoher Maschendraht zäunte sie ein. Hier schuftete Annie im Sommer, im Winter ruhte sie wie die
Bäume – die draußen im Frost, sie drinnen in eine Wolldecke gehüllt flach auf der Couch, genau wie ihr Opa in seinem Liegesessel. Der schimpfte weiter, als gehöre
sein Meckern zum Lebensrhythmus wie Zähneputzen: »Ein Scheißleben haben wir auf dem Land.«
    Mindestens einmal die Woche sagte er das. Dann schaute Annie ihn an, hob die Hände, wollte ihn besänftigen: »Wir können doch zufrieden sein.«
    Er schüttelte den Kopf: »Ein Bauer ist nie zufrieden, auch wenn er’s ist. Schreib dir das endlich hinter die Ohren.«
    »Ich bin kein Bauer, ich bin Schülerin.«
    Er winkte ab, wollte von ihr keine Einwände hören: »Du arbeitest mehr im Feld als in der Schule. Meckern ist bei unsereins eine Umgangsform, die sich geradezu gehört. Das
Ringen um eine gute Ernte ist ein Streit des Menschen mit der Natur«, sagte er gestelzt, »wie die Bäume und die Erde brauchen wir eine lange Winterruhe.«
    »Ich streite nicht mit der Natur.«
    Er grinste ihr zu: »Wie oft soll ich dir das noch sagen? Leg die Füße hoch, so oft du kannst, Hauptsache, du findest eine komplizierte Begründung dafür.«
    Seit einem Jahr schoss Annie die Vögel auch mit einem Luftgewehr ab und hängte die Leichen in die Äste, um die anderen Fresser zu warnen. Doch die machten sich genau so wenig
daraus wie aus dem Getrommel und Geschrei. Annies Mutter hatte kürzlich weiter aufgerüstet und eine regelrechte Knarre gegen die Stare angeschafft, eine Browning mit dickem Lauf, die so
echt aussah, dass man damit eine Bank hätte ausrauben können.
    Nette warnte ihre Tochter: »Du musst sie hochhalten und die Signalraketen in den Himmel schießen, kapiert?«
    »Logisch.«
    Zu Anfang schoss sie tatsächlich noch vorschriftsmäßig in die Luft, aber die frechen Stare hopsten bloß kurz auf und fraßen gleich danach weiter. Als Annie es
daraufhin mal waagerecht versuchte und die Raketen im Zickzack über die Baumspitzen zischten, machten sie grausige, heulende Geräusche und scheuchten wahrhaftig ein paar sensible
Vögel auf. Leider ging ausgerechnet während dieser Schießübungen ihr Opa zwischen den Baumreihen spazieren, gemeinsam mit dem uralten Bürgermeister und dem Großvater
des Bäckers. Opa blieb erstaunt stehen wie ein Kugelfänger, die beiden Greise jedoch duckten sich unter Annies Beschuss flach ins Unkraut, legten die Arme über die Köpfe und
zitterten noch Tage später, weil sie auch Jahrzehnte zuvor oft in Deckung hatten gehen müssen. Verflucht haben sie das Kind, ihm Schläge angedroht, gestorben seien sie fast, und
kreuzten doch nie wieder in der Plantage auf, ohne vorher Bescheid zu geben.
    Opa erklärte Annie, in den Ohren seiner beiden alten Stammtischbrüder hätten diese Schüsse gepfiffen und gezischt wie die Artilleriegeschosse. Seitdem wusste Annie, wie der
Zweite Weltkrieg geklungen haben muss, und versprach, in Zukunft auf ausgediente Soldaten Rücksicht zu
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