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Sündiger Mond

Sündiger Mond

Titel: Sündiger Mond
Autoren: L Burton
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Finanzspritzen waren, um das Schloss ihrer Vorfahren restaurieren, Bakkarat spielen oder ein oder zwei Geliebte aushalten zu können. Die Bedingungen meiner Eheschließung wurden zwischen meinem Vater und Hickley ausgehandelt, als Hickley im März 1902 mal wieder auf der Suche nach einer Frau in New York war. Sein Vater, der siebte Earl von Kilbury, hatte den Rest des Familienvermögens verprasst, und er steckte bis zum
Hals in Schulden, sodass er verzweifelt auf die zwei Millionen Dollar in bar und Eisenbahn-Aktien wartete, die er bei unserer Heirat im Juni des darauffolgenden Jahres erhalten sollte.
    Warum, wirst Du Dich fragen, sollte eine clevere, lebenstüchtige kleine Katze wie ich einem so blutleeren und korrupten Arrangement zustimmen? Vielleicht erinnerst Du Dich an mein Alter Ego Emmeline, die vor ihrem sexuellen Erwachen so behütet und klassenbewusst aufgewachsen ist, und kannst Dir dann vorstellen, dass ich vermutlich eben so ein Mädchen war, bevor ich aus meinem Kokon schlüpfte.
    Emmeline ist eigentlich das fiktivste Element im Buch. Um ihre Transformation besonders dramatisch zu gestalten, musste sie vorher außergewöhnlich naiv sein. In Wirklichkeit jedoch war ich, was man damals in Amerika als »Neue Frau« bezeichnete. Wir spielten Tennis und Golf, rauchten Zigaretten, fuhren Fahrrad und Auto und waren gebildet, auch wenn Du Dir nicht vorstellen kannst, was für nervenaufreibende Auseinandersetzungen mit meinen Eltern es mich gekostet hat, bis ich nach Bryn Mawr durfte. Wir trugen Blusen mit Puffärmeln und Röcke, die den Knöchel zeigten, auch wenn wir eher gestorben wären, als sie für einen Mann zu heben. Wir fanden, dass uns eine berufliche Laufbahn zustand und wir, wenn wir wollten, auch unverheiratet bleiben konnten.
    Warum ließ ich also zu, dass meine Eltern mich mit zwei Millionen Dollar an einen geldgierigen englischen Baron übergaben? Zuerst musst Du verstehen, dass ich keine Ahnung von Hickleys wahrem Charakter, beziehungsweise seinem kompletten Mangel daran, hatte, als ich ihn kennenlernte. Wir wurden einander von einem gemeinsamen Freund namens Kit Archer vorgestellt. Kit war Engländer, aber er lebte in Frankreich, wo er als administrateur dem seigneur von Grotte Cachée diente, eine Tradition in seiner Familie, die er schon in der vierten Generation erfüllte. Er hatte auch zwei Bücher
über klassische Geschichte geschrieben sowie einen Roman über Atlantis, der zwar obskur, aber eigentlich ganz gut war.
    Ich hatte Kit vier Jahre zuvor bei Bertha Chalmers kennengelernt, die zweimal im Monat einen literarischen Salon abhielt, an dem er teilnahm, wenn er sich gerade in New York aufhielt. Ich war zum ersten Mal dort und vor Ehrfurcht erstarrt, weil ich mich im gleichen Raum mit Leuten wie Edith aufhielt. Es war noch vor Das Haus der Freude , aber ich liebte ihre Kurzgeschichten und Artikel. Kit war so warmherzig und redselig – ich fühlte mich einfach wohl in seiner Gegenwart, natürlich auch in Ediths. Er und ich wurden enge Freunde und blieben es bis zu seinem Tod kurz vor dem Krieg, obwohl ich damals erst zwanzig und er ein beleibter, kahlköpfiger, von der Gicht geplagter Mann von sechzig war, der auf der anderen Seite des Atlantiks lebte. Und damit Du nicht auf die Idee kommst, an unserer Beziehung könne etwas Unpassendes gewesen sein, Kit hatte eine Frau, vier Kinder und einen Enkel, die er über alles liebte.
    Unter anderen Umständen hätte ich an jenem Abend Mrs. Chalmers Salon vielleicht ausfallen lassen, weil New York von einem dieser heftigen Schneestürme im März heimgesucht wurde, aber Kit hatte mir eine Nachricht geschickt, er sei gerade erst in die Stadt gekommen und würde einen jungen Baron mitbringen, den er auf der Überfahrt getroffen hätte. Er habe einen meiner Artikel in einer Zeitschrift gelesen und wolle mich unbedingt kennenlernen. Also ging ich hin, teils wegen Kit und teils, um mir diesen adeligen Engländer anzusehen, der tatsächlich wusste, wer ich war! Und der mich kennenlernen wollte!
    Hickley stellte sich als gut aussehend und liebenswürdig heraus, mit dieser klassischen britischen Unerschütterlichkeit, die wir Amerikaner gerne mit Intelligenz verwechseln, und er schien sich unter den unkonventionellen Intellektuellen
im Salon vollkommen wohlzufühlen. Er erzählte mir, dass ihm mein Artikel über Marion Jones Farquhar in Wimbledon, der zwei Jahre zuvor im Scribner’s erschienen war, gut gefallen habe. Er war außergewöhnlich aufmerksam,
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