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Sühnetag - Patterson, J: Sühnetag - Worst Case

Sühnetag - Patterson, J: Sühnetag - Worst Case

Titel: Sühnetag - Patterson, J: Sühnetag - Worst Case
Autoren: James Patterson
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seines lebenslangen Traums, Arzt zu werden. Im Arbeitszimmer seines Vaters stand die Ausgabe von 1862 eines Gesundheitslexikons, und schon als kleiner Junge hatte Jacob es geliebt, darin zu blättern. Auf dem großen, gepolsterten Stuhl seines Vaters kniend, das Kinn auf die Hand gestützt, hatte er stundenlang über den eleganten, faszinierenden Grafiken gehockt, der topografischen Darstellung des menschlichen Körpers, der wie ferne Länder auf einer Schatzkarte gefärbt und bezeichnet war.
    Jacob schluchzte bei der glücklichen Erinnerung. Ein Tropfen lauwarmen Wassers landete in seinem Nacken und lief an seiner Wirbelsäule hinab. Das Kitzeln war unerträglich. Die Druckstellen würden sich entzünden, wenn er nicht aufstehen konnte. Druckgeschwüre, Staphylokokkeninfektion, Krankheit.
    Das Letzte, woran er sich erinnerte, war, dass er am späten Abend das Conrad’s verlassen hatte, eine Bar in Alphabet City, in der man sich um gefälschte Ausweise einen Dreck scherte. Nach einer ewig langen Sitzung im Chemielabor hatte er versucht, sich an eine tolle Finnin aus seinem Kurs heranzumachen. Doch nach seinem fünften Mojito wurde seine Zunge immer langsamer. Er hatte sich verabschiedet, als er gemerkt hatte, dass sich die Finnin mehr mit dem Modeltypen hinter der Bar unterhielt als mit ihm.
    Sowie er ins Freie getreten war, schien ihn sein Gedächtnis verlassen zu haben. Wie er von der Bar hierhergelangt war, erinnerte er sich nicht.
    Zum millionsten Mal versuchte er, sich ein Szenario zurechtzubasteln, in dem sich alles zum Guten wendete. Am besten gefiel ihm die Vorstellung, dass es sich um einen Studentenstreich handelte, dass ihn ein paar Jungs mit einem anderen Studienanfänger verwechselt hatten und die Sache ausgeufert war.
    Er begann zu weinen. Wo waren seine Kleider? Warum hatte man ihm Jeans, Schuhe und Socken ausgezogen? Die Szenarien in seinem Kopf waren so schwarz, dass sie kein Licht zu erhellen vermochte. Er konnte sich nicht selbst an der Nase herumführen. So tief in der Scheiße hatte er in seinem jungen Leben noch nie gesessen.
    Er schlug mit dem Kopf gegen das Rohr, an dem er festgekettet war, als er ein Geräusch hörte – in der Ferne schlug eine Tür zu. Sein Herz schlug genauso laut gegen seine Rippen, und er wusste nicht, ob er zuerst ein- oder ausatmen sollte.
    Er wand sich heftig, als er zwischen den sich nähernden Schritten ein Klirren hörte. Plötzlich dachte er an den Handwerker im Haus seiner Eltern, an das fröhliche Klimpern des Schlüsselbundes, der an seiner Hüfte hing. Der dürre Mr. Durkin, der immer ein Werkzeug in der Hand hielt. Er schöpfte neue Hoffnung. Ein Freund kam, um ihn zu retten, redete er sich ein.
    » Hfff!«, schrie Jacob hinter dem Knebel.
    Die Schritte erstarben. Ein Schloss schnappte auf, und kühle Luft streifte über sein Gesicht. Der Knebel wurde gelöst.
    » Danke! Vielen, vielen Dank. Ich weiß nicht, was passiert ist. Ich …«
    Jacob stieß unwillkürlich den Atem aus, als etwas furchtbar Hartes in seinem Bauch landete. Es war ein Stiefel mit Stahlkappe, der sich durch seinen Magen direkt bis zur Wirbelsäule durchzudrücken schien.
    O Gott, flehte Jacob würgend, als sein Kopf über den Betonboden schrammte. Lieber Gott, bitte hilf mir.

2
    Jacob wurde an den Händen losgebunden, etwa zwanzig Schritte über den Boden geschleift und auf einen Sitz mit harter Lehne gedrückt. Licht blendete ihn, als die Augenbinde aufgeschnitten wurde, gleich darauf wurden seine Hände erneut hinter seinem Rücken gefesselt.
    Er saß in einem großen, fensterlosen Raum auf einer Schulbank. Vor ihm stand eine altmodische, leere Tafel auf Rollen, der Mensch hinter ihm strahlte eine Kälte aus, bei der sich ihm die Nackenhaare sträubten.
    Jacob schluchzte leise, als ein Feuerzeug angezündet wurde. Der schwache, würzige Geruch von Tabakrauch erfüllte die Luft.
    » Guten Morgen, Master Dunning«, sagte eine Stimme hinter ihm.
    Es war die Stimme eines Mannes, der vollkommen vernünftig, eigentlich ausgesprochen gebildet klang. Sie erinnerte ihn an seinen ehemaligen Englischlehrer, Mr. Manducci, der an der Horace-Mann-Schule sehr beliebt war.
    Hey, Moment. Vielleicht war das Mr. Manducci. Er schien einigen der männlichen Schüler gegenüber immer ein bisschen, äh, zu freundlich gewesen zu sein. Könnte es sich um eine Entführung handeln? Jacobs Vater war äußerst wohlhabend.
    Sein Gefühl der Erleichterung grenzte ans Unermessliche. Er beschloss, die Sache als
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