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Süden und das verkehrte Kind

Süden und das verkehrte Kind

Titel: Süden und das verkehrte Kind
Autoren: Friedrich Ani
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Tatverdächtige wirkt jetzt angespannt und kühl, eigentlich kalt.
    »Erklären Sie mir, was Sie mit einer ›richtigen Nastassja‹
    meinen.«
    »Nein.«
    »Ich möchte Ihnen ein Foto zeigen.«
    Anmerkung: Aus einer Mappe nimmt HK Süden ein Foto, auf dem das tote Kind zu sehen ist.
    »Ist das Ihre Tochter Nastassja, Frau Kolb?«
    »Sie haben die ganze Zeit gewusst, dass sie tot ist, aber Sie haben es mir nicht gesagt.«
    »Ist das Ihre Tochter?«
    »Warum fragen Sie mich das?«
    »Ja oder nein.«
    »Ja.«
    Anmerkung: Als die Tatverdächtige nach dem Foto greift, steckt es HK Süden zurück in die Mappe.
    »Warum darf ich das nicht anschauen?«
    »Sie hatte neue weiße Socken an, als wir sie gefunden haben. Haben Sie Ihrer Tochter die Socken angezogen?«
    »Ich?«
    »Haben Sie ihr die Socken angezogen?«
    »Weiß ich nicht mehr.«
    »Warum ist Ihre Tochter am Freitagabend von zu Hause weggelaufen?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Sie haben sich gestritten. Sie haben Nastassja geschlagen.«
    »Nein.«
    »Nastassja hat ihren Vater getroffen, er wollte mit ihr zum Schwimmen.«
    »Ja.«
    »Sie ist zwar ins Auto gestiegen, aber bald wieder ausgestiegen. Die beiden haben sich gestritten. Haben Sie eine Ahnung, warum sie sich gestritten haben könnten?«
    »Mit Nasti muss man sich dauernd streiten.«
    »Obwohl sie erst sechs Jahre alt ist?«
    »Sie ist eine richtige Nastassja, sie macht dauernd Ärger, und wenn man sie zur Rede stellt, streitet sie alles ab oder widerspricht.«
    »Warum ist sie nicht nach Hause zurückgekommen, nachdem sie sich mit ihrem Vater gestritten hatte?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Sie haben sich dann auf die Suche nach ihr gemacht.«
    »Ja.«
    Anmerkung: HK Süden sieht die Tatverdächtige lange an, länger als beim ersten Mal, und sie ringt mit sich, sie holt mehrmals Luft und setzt an, etwas zu sagen. Sie erwidert den Blick wie hypnotisiert. Dann beugt sie sich so weit über den Tisch, dass ihr Gesicht beinahe das von HK Süden berührt. Jetzt atmet sie heftig und stoßweise. Dann lehnt sie sich ein Stück zurück und streckt den Rücken. Die Haare fallen ihr ins Gesicht, sie wischt sie beiseite, und sie fallen ihr wieder vors Gesicht. Sie hält beide Hände flach an ihren Kopf. Man könnte meinen, sie halte sich die Ohren zu. Als wolle sie sich selber nicht sprechen hören. Die Hände sind aber vor den Ohren. Die Tatverdächtige zittert am ganzen Körper, ihre Beine zucken. Dann senkt sie mit einer schnellen Bewegung den Kopf.
    »Fabian darf das nicht denken, er darf das nicht denken, das darf er nicht!«
    »Er darf nicht denken, dass Sie Nastassja getötet haben.«
    »Ich hab sie doch nicht getötet. Nicht getötet. Ich hab sie doch nicht… Ich hab sie gefunden, da oben am Wald, bei dem alten Bahngleis, da lag sie doch. Mit der Plastiktüte. Mit der Plastiktüte. Mit der Tüte über dem Kopf. Zugebunden mit einem Gummi unten. Mit einem Gummi unten zugebunden. Zu. Weil Fabian ihr das gezeigt hat, obwohl ichs ihm verboten hab, der hat sich immer eine Tüte über den Kopf gezogen, das war ein Spiel. Sein Vater hat ihm mal zu Weihnachten eine Stoppuhr geschenkt, mit der hat er die Zeit gestoppt. Hat die Zeit gestoppt und die Tüte über dem Kopf gehabt. So ein Dummkopf! Und er wollt seine Schwester damit erschrecken. Ich hab alle Plastiktüten versteckt. Das ist ja Unsinn, Plastiktüten kriegt man überall, und Gummis auch. Und Fabian hat welche in seinem Zimmer versteckt. Oder in der Schule. Und Nasti hat gesagt, sie will sterben, so wie Fabian ihr das gezeigt hat. Das hat sie gesagt. Dass sie sterben will, wenn… wenn… wenn…«
    »Wenn Sie sie wieder schlagen.«
    Anmerkung: Die Tatverdächtige braucht lange mit ihrer Antwort.
    »Ja. Mit sechs Jahren! Da bringt sich doch kein Kind um. Mit sechs Jahren doch nicht. Oder? Nein. Und dann lag sie da, und ich hab gleich gewusst, sie hat sich jetzt umgebracht. Ich hab da was liegen sehen, im Halbdunkel, und bin hin und da hab ich gleich gedacht, jetzt hat sie das getan. Jetzt ist alles aus. Und dann hab ich die Tüte von ihrem Kopf genommen und hab ihr Gesicht geküsst. Das war ganz kalt. Das war so kalt, das Gesicht, so kalt war das und so weich. Und so kalt. Und so weich. Und so kalt. Und ich hab sie genommen und hab sie versteckt , ich bin noch tiefer in den Wald mit ihr gegangen, noch tiefer rein, weg vom Weg, weit weg vom Weg.«
    »Warum haben Sie das gemacht, Frau Kolb?«
    »Wollt warten, bis es dunkel ist. Weiß nicht, warum.«
    »Und als es
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