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Süden und das verkehrte Kind

Süden und das verkehrte Kind

Titel: Süden und das verkehrte Kind
Autoren: Friedrich Ani
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die Aussagen Fabians unter freiem Himmel aufzuzeichnen. Aber seit der Junge aus dem Auto gestiegen war, hatte er nichts gesagt.
    »Wo hast du den Schuh gefunden?«, sagte ich.
    Fast unmerklich nickte Fabian in Richtung Unterholz.
    »Wie bist du hierher gekommen?«
    Nach einer langen Pause, in der er mit schmalen Augen zu den Sträuchern und den abgeschlagenen Nadelholzästen blickte, sagte er: »Mit dem Fahrrad.«
    »Bist du öfter hier?«, sagte ich.
    Ich sah, wie Freyas Hand, mit der sie den Recorder in die Höhe hielt, leicht zitterte.
    »Manchmal«, sagte Fabian.
    »Kennen deine Eltern diese Gegend auch?«
    »Wegen dem Biergarten.«
    In einigen hundert Meter Entfernung, unterhalb der Grünwalder Brücke, lag der »Brückenwirt«, ein beliebtes Ausflugslokal.
    »Wann hast du den Schuh gefunden, Fabian?«
    »Gestern«, sagte er. Dann sah er mich an. »Ich hab nicht nach ihr gesucht, ich hab nur ihren Schuh gefunden, ich hab gedacht, wenn meine Mutter Nasti umgebracht hat, dann hat sie sie wo vergraben, wo sie schon mal war. Ich hab nicht nach ihr gesucht, ich schwörs, ich hab nur den Schuh gefunden.«
    »Warum glaubst du denn, dass deine Mutter Nastassja umgebracht hat?«
    »Weil sie nicht fertig geworden ist mit ihr«, sagte er und schaute wieder wie beim »Burgerking« zwischen Freya und mir hindurch. »Weil die Nasti sie gestört hat. Und weil ich schon zu alt bin, dass sie mich umbringen kann. Aber Nasti kann sich nicht wehren. Sie müssen Sie jetzt finden, bitte!«
    Er wandte sich ab, ging zu den gefällten Baumstämmen nahe dem Kanal und setzte sich, senkte den Kopf und hielt sich die Arme vors Gesicht.
    »Mein Gott«, sagte Freya und ihre Hand zitterte jetzt stärker.
    Wir fanden sie unter Zweigen, Ästen, Gesträuch und einem Hügel alten Laubes, sie lag auf dem Rücken, die Hände auf der roten Jeansjacke gefaltet, ihr Gesicht war schwarz von Erde und an ihrem linken Fuß fehlte ein Schuh, und die Socken sahen weiß und sauber aus wie frischer Schnee. Freya weinte stumm, und ich dachte an die Männer und Frauen, die ich von meinen Wegen durch die Nacht kannte, wandelnde Wunden, die zeitlebens aus der Liebe fallen, weil es im Innern ihres Herzens unendlich dunkel ist.

13
    A uf dem Schreibtisch des Professors, der uns sein Büro zur Verfügung gestellt hatte, stand ein Farbfoto in einem Rahmen, das den Arzt gemeinsam mit seiner Frau und zwei blonden Mädchen auf einem Felsen über dem Meer zeigte. Ich schaute nur einmal aus Versehen hin.
    Für die Befragung, die wir im Klinikum Großhadern durchführen mussten, weil Matrimonia Kolb das Krankenhaus noch nicht verlassen durfte, setzten wir uns an einen weißen Tisch an der Wand, Freya Epp mit ihrem Laptop an die Schmalseite, Medy Kolb und ich einander gegenüber. Freya hatte sich zum Protokollieren bereit erklärt, nachdem Erika Haberls Erkältung über Nacht wieder schlimmer geworden war und sie nach einer Stunde im Dezernat heimgehen musste.
    Beginn der Vernehmung: Mittwoch, zehnter April, dreizehn Uhr fünfundfünfzig.
    »Ich weise Sie darauf hin, dass Sie im Moment als Zeugin vernommen werden, nicht als Beschuldigte oder Tatverdächtige, und die Pflicht haben auszusagen.«
    »Ja.«
    »Sie sind in der Lage, der Vernehmung zu folgen.«
    »Ja.«
    »Bitte sagen Sie sofort, wenn Sie müde werden und sich ausruhen möchten. Dann können Sie das tun.«
    »Ja.«
    Anmerkung: Hauptkommissar Süden sieht die Zeugin lange an. Je länger er sie ansieht, desto unruhiger wird sie, gleichzeitig aber auch, so scheint es, entschlossener zu sprechen. Als HK Süden den Kopf senkt, kann man den Eindruck haben, die Zeugin sei enttäuscht darüber und warte darauf, dass er sie weiter ansieht.
    Zeugin: »Möchten Sie mich nichts fragen?«
    »Fahren Sie einen dunkelblauen Citroen Xsara, Frau Kolb?«
    »Bitte?«
    »Haben Sie die Frage nicht verstanden?«
    »Doch. Ja.«
    »Mit einer roten Bremsleiste am Kofferraum.«
    »Ja.«
    »Waren Sie mit diesem Auto am vergangenen Freitagabend auf der Bundesstraße elf unterwegs?«
    »Kann schon sein. Ich fahr die Straße oft, die geht ja praktisch bei uns vorbei.«
    »Sie waren auf dieser Straße am Freitagabend unterwegs, weil Sie auf der Suche nach Ihrer Tochter Nastassja waren?«
    Anmerkung: Die Zeugin fährt sich durch die Haare und legt die Hände dann in den Schoß. Offenbar schwindet ihre Bereitschaft auszusagen, ohne dass klar wäre, warum.
    »Haben Sie die Frage verstanden, Frau Kolb?«
    »Warum fragen Sie mich das dauernd? Ich bin
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