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Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Titel: Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels
Autoren: Friedrich Ani
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sie alle sofort ihren Ausweis. Sie wussten, das schüchterte die Leute ein. Als ich noch im K 111 war, machte ich es genauso. Es war wie ein Reflex, ich schraubte mich in eine Autorität hinein, und es funktionierte. Die Leute reagierten oft untertänig, entgegenkommend, sogar gespannt, bisweilen begeistert darüber, endlich einmal von der Polizei wahrgenommen zu werden.
    »Ich such den Max«, sagte ich zu Alex. Er war Anfang vierzig, trug eine Brille und ein schwarzes Hemd und drehte sich seine Zigaretten.
    »Seine Frau hab ich heut gesehen, beim Vorbeifahren, ich wollt sie schon fragen, ob ihr Mann krank ist.«
    »Warum haben Sie sie nicht gefragt?« Ohne weitere Erklärung hielt ihm Sonja ihren Dienstausweis hin. Reflexe kann man nicht innerhalb einer Woche abstellen.
    »Polizei«, sagte Alex. »Ist was passiert?«
    »Herr Grauke ist als vermisst gemeldet«, sagte Sonja.
    »Von wem?«, fragte Alex. Endlich einmal eine ehrliche Aussage.
    »Von seiner Frau und seiner Schwägerin«, sagte ich. Alex zupfte sich einen Papierkrümel von der Lippe und zündete die Zigarette an. »Keine Ahnung. Ich kenn ihn, aber ich weiß nix von ihm. Ich kauf meine Schuhe im Kaufhaus, und ich brauch nicht viele. Ich lauf ja nicht viel rum.«
    »Wann war er zum letzten Mal hier?«, fragte Sonja. Ich lehnte mich an den Tresen.
    Der junge Mann am Tisch versenkte den Rest Weißbier in sich. Vielleicht ging die Beerdigungszeremonie langsam zu Ende und der gemütliche Teil fing an. Wenn geredet wurde. Und gelobt. Und laut gelacht. Und die Leiche endlich einen Sinn ergab.
    »Letzte Woche«, sagte Alex.
    »Wann genau?«
    Er rauchte, öffnete eine Flasche Spezi, goss ein Glas voll und trank.
    »Donnerstag«, sagte er, »am Donnerstag, stimmts, Klausi? Weil am Donnerstag füll ich immer den Lottoschein aus.«
    Klausi hob den Kopf. Und gleichzeitig das Glas. Ich schaute zur Decke. Der Marionettenspieler war unsichtbar.
    »Klausi«, sagte ich laut.
    Er zuckte zusammen. Es zuckte ihn zusammen. Vermutlich kam jetzt sein sechstes Weizen.
    »Bring mir noch eins!«, sagte er gut verstehbar. Das war auch eine von Martins gehaltvollen Lehren: Egal, wie viel man getrunken hatte, das Wichtigste war, die Bestellung immer astrein auszusprechen. Ich fragte ihn: Wieso ist das wichtig? Er sagte: Wegen der Höflichkeit.
    »Hast du den Max am Donnerstag gesehen?«, fragte ich vom Tresen aus.
    Klausi brauchte eine Weile, bis er seinen Blick auf die Entfernung eingestellt hatte. Uns trennte ungefähr ein Meter.
    »Am Donnerstag… möglich wärs… ja…«, sagte er.
    »Scheiße war der drauf. Er ist in den ›Rumpler‹ rein und hat einen Fernet bestellt. Und noch ein Fernet. Scheiße sah der aus. Er hat gesagt… es kotzt… kotzt ihn alles an… Er hat… Er wollt sich umbringen, ich schwörs, der wollt sich umbringen, so war der drauf…«
    »So ein Scheiß«, sagte Alex und stellte das frische Weißbier hin, nahm das leere Glas, drehte sich zu mir um.
    »Der spinnt, der Klausi. Der Max war hier, er hat seine drei Bier getrunken, wie immer, der war ganz normal…«
    »Und das war sicher am Donnerstag«, sagte Sonja. Sie suchte nach einem Stift und einem Stück Papier.
    »Ich merk mir das«, sagte ich.
    »Bitte?«
    »Der Max, der ist doch… der ist doch aus der Jahnstraß nie rausgekommen, oder?« Der junge Mann sprach mit seinem Weißbierglas. Vielleicht sparte er auch nur Kraft. Manchmal muss man sich entscheiden: Arm oder Kopf heben. Er hob den Arm mit dem schäumenden Weißbier am Ende. »Der ist… ist in seinem Loch… und der ist… Mein Alter hat bei dem schon seine Schuhe machen lassen… Der ist…«
    Er trank und redete weiter. Von Dingen, die in unwegsamem Gelände spielten. Die Beerdigung in seinem Kopf war definitiv vorbei.
    Vor dem Stüberl legte Sonja den Kopf in den Nacken und ließ sich von der Sonne bescheinen.
    »Obwohl sein Geschäft letzte Woche geschlossen war, hat Grauke am Donnerstag hier seine Biere getrunken«, sagte ich. »Und Fernet im ›Rumpler‹.«
    Das Lokal lag nur ein paar hundert Meter entfernt und wir gingen hin. Niemand konnte uns etwas Neues berichten.
    »Wir wissen nicht, ob die Schusterei die ganze Woche zu war«, sagte Sonja hinterher. Wir überquerten die Baum-Straße und gingen zurück in die Jahnstraße. Es war halb drei Uhr nachmittags und heiß. Sonja hatte die Ärmel ihres Pullovers hochgekrempelt, ich mein Hemd bis zum Kragen zugeknöpft. Ich fror nicht. Ich mochte es so.
    »Er steht auf, sagt, er geht jetzt Bier
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