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Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Titel: Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels
Autoren: Friedrich Ani
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Weise sämtliche unbekannten Toten mit dem vermissten Maximilian Grauke abgleichen. Aber das sagten wir den beiden Schwestern nicht.
    In der engen, auf beiden Seiten voll geparkten Jahnstraße drängten sich die Autos aneinander vorbei, und ich schaute ihnen einige Zeit zu. Der stumme Kampf ums Nachgeben gefiel mir. Ein Fahrer musste immer bremsen, sogar stehen bleiben, sonst ging es nicht weiter. Der andere drückte dann stolz aufs Gas. Wenn ich selber fuhr, gehörte ich nicht zur netten Abteilung. Allerdings fuhr ich selten. Meist nahm ich ein Taxi. Oder ich ließ Martin ans Steuer. Der fuhr so vorsichtig, als wäre unser Dienstwagen goldverchromt und außerdem sensibel. Wer öfter mit Martin unterwegs war, sparte sich das Geld für einen achtwöchigen Aufenthalt in einem buddhistischen Kloster. Mehr Demut und Geduld war nirgends als in einem Opel, den Hauptkommissar Heuer lenkte.
    »Warum haben Sie nichts gesagt?«, fragte Sonja. Über ihr Handy hatte sie im Dezernat einen E-Bogen mit den Namen der Hausbewohner bestellt. Vielleicht gab es Verbindungen, Namen, die zusammenpassten, Hinweise auf das Ehepaar Grauke.
    »Was machen wir jetzt?«, fragte sie. Wieder schaute ich sie an. Sie war irritiert. Wegschauen konnte ich nicht. Sie trug hellblaue Jeans, einen weißen Pullover mit V- Ausschnitt und Turnschuhe. Sie war schlank. Sie hatte einen kleinen Bauch und einen weniger kleinen Busen. Und volle, helle Wangen. Einen schmalen Mund, Fältchen rechts und links.
    »Ich hab Sie mir früher anders vorgestellt«, sagte sie. Ich sagte: »Warum?«
    »Bitte?«
    »Warum haben Sie sich mich vorgestellt?«
    Sie wich einem Mädchen aus, das mit dem Fahrrad vorbeipreschte. Wir standen vor einem Laden, dessen Tür und Schaufensterrollo heruntergezogen war. Die Beschichtung bröckelte ab. Vor der Tür lag ein ausgetretener brauner Fußabstreifer.
    »Waren Sie nicht neugierig auf Ihre neue Kollegin?«, sagte sie.
    »Doch, aber ich weiß ja, wie Sie aussehen.«
    Sie lächelte. Länger als es nötig gewesen wäre. Stete Nahrung für die Fältchen.
    »Wollten Sie sich nicht die Haare schneiden lassen?«, sagte ich.
    Sie sagte: »Ich hab Sie angelogen.«
    »Sie haben unsere Assistentin angelogen.«
    »Stimmt.«
    Über dem Schaufenster des alten Ladens hing ein Messingschild, verrostet, mit geschwungener Schrift:
    »Schusterei M. Grauke.« Der Laden wirkte wie eingequetscht zwischen dem Haus Nummer 48, in dem das Ehepaar wohnte, und dem Haus Nummer 50.
    »Sieht trübsinnig aus«, sagte Sonja. Ich rüttelte am Rollo. Verschlossen.
    »Hab ich auch schon versucht«, rief jemand. Auf dem Bürgersteig gegenüber stand eine Frau mit einem Aluroller.
    »Ich brauch dringend meine Schuhe!«, rief sie herüber.
    »Seit einer Woche ist zu beim Max, so was ist noch nie vorgekommen. Und seine Frau sieht man auch nicht. Hoffentlich ist nichts passiert!«
    Sonja ging zu ihr. »Ich hab auch Schuhe bei ihm, die wollt ich grade holen. Ist er krank?«
    »Das weiß ich nicht«, sagte die Frau. »Ich war letzten… Dienstag da… und letzten Freitag, immer zu. Ich war sogar schon bei Alex und hab nach ihm gefragt. Aber da war er auch nicht…«
    »Wer ist Alex?«
    »Der Wirt vom Stüberl vorn. Ich brauch die Schuhe wirklich dringend, ich versteh das nicht… Ich wohn jetzt über zehn Jahre hier im Viertel, und der Max hat nie so lange zugehabt. Der macht doch nie Urlaub…«
    Bevor wir noch einmal in die Wohnung gingen, besuchten wir Alex.
    Er betrieb eine dieser Kneipen, bei der die Sonne draußen bleibt wie ein braver Hund. Zwei Tische, ein uförmiger Tresen, ein Spielautomat, eine elektronische Dartscheibe, Schlagermusik, keine Zapfhähne, das Bier gibt es aus der Flasche.
    So ein Lokal wäre mein Ort, wenn ich keine Arbeit hätte.
    »Ein Helles«, sagte ich. Sonja sah mich missmutig an.
    »Das Helle ist hier ein Lichtblick«, sagte ich. Das war ein Spruch von Martin, der anders als ich ein wahrer Gasthausbewohner war. Ich ging immer nur mit.
    »Einen Kaffee für mich«, sagte Sonja.
    »Schlecht«, sagte Alex. »Ist grad aus.«
    »Dann ein Wasser.«
    An dem Tisch beim Durchgang zu den Toiletten saß ein junger Mann, rauchte und trank Weißbier. Mit seinem Schweigen beerdigte er die Welt. The Sweet sangen »Love Is Like Oxygen«. Wenigstens die siebziger Jahre waren unsterblich.
    Ich wandte mich zu Sonja um. Und ahnte, was sie dachte. Erstens: Wieso säuft der jetzt? Zweitens: Sind wir offiziell hier? Wie ist das in einem Vermisstenfall? Beim Mord zückten
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