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Sturmwind der Liebe

Sturmwind der Liebe

Titel: Sturmwind der Liebe
Autoren: Catherine Coulter
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brachte den Krawattenknoten nicht zustande. Das Geschrei hörte nicht auf, sondern wurde immer lauter. Er blickte in den Spiegel, riß die Krawatte ab und warf sie weg. Dann schloß er die Augen. Was war da los? Warum schrie sie, als wäre sie in Lebensgefahr?
    »Hör auf!« flüsterte er. »Um Gottes willen, sei still!«
    Das Baby brüllte, als stecke es am Spieße.
    Alec konnte es nicht mehr aushalten. Er ging vom Schlafzimmer den breiten Flur entlang zu der Treppe, die zum Kinderzimmer im zweiten Stock führte.
    Dann riß er die Tür zum Kinderzimmer auf. Da stand Mrs. MacGraff, die Haushälterin, hielt den Säugling im Arm, wiegte ihn und versuchte ihn zu beruhigen.
    »Wo zum Teufel ist die Amme?«
    Mrs. MacGraff fuhr herum. »Oh, my Lord, die Amme mußte nach Haus. Ihr eigenes Kind ist krank, und ihre Familie … Jetzt bekommt Hallie ihre Milch nicht und hat Hunger.«
    Energisch unterbrach Alec ihren Wortschwall. »Geben Sie sie mir! Dann gehen Sie runter und sagen Smythe, er soll die Amme sofort holen lassen! Sie soll ihr Kind mit herbringen. Um Gottes willen, so gehen Sie doch!«
    Alec nahm seine Tochter auf den Arm. Im ersten Augenblick erschrak er. Sie war so winzig klein. Und dabei brüllte sie, daß ihm die Ohren weh taten. Ihr kleiner Körper zuckte beim Schreien. Erst wollte er nicht, aber dann zwang er sich doch, sie anzusehen, sie sich richtig anzusehen. Ihr Gesicht war verzerrt und voller roter Flecke. Der Kopf war mit dichten hellblonden Haaren bedeckt. Das war genau die gleiche Haarfarbe, die er als kleines Kind gehabt hatte. Seine Mutter hatte es ihm oftmals zärtlich erzählt.
    Leise sagte er: »Psst, Kleine, alles ist gut. Du bekommst gleich deine Milch.«
    Einen Augenblick hörte das Baby zu schreien auf, als es die seltsame, tiefe Stimme vernahm, und riß die Augen sehr weit auf. Sie schaute dahin, wo die Stimme herkam. Ihre Augen hatten die Farbe der Nordsee bei wildem Unwetter. Ein dunkles, tiefes Blau. Genau wie seine.
    Der kleine Körper wand sich und kämpfte gegen den Griff dieser ungewohnten Hände an. Alec hielt sie von sich ab. Schließlich ertrug er es nicht mehr und zog seine Tochter an die Schulter. Er summte bedeutungslose Wörter und Töne, immer von neuem, leise, wieder und wieder. Zu seiner Überraschung stieß sie mehrmals auf, steckte sich die Faust in den Mund und legte den Kopf an seine Schulter. Noch einmal lief ein Beben durch den kleinen Körper. Dann wurde sie still. Da dachte er erschrocken, daß sie tot wäre. Aber nein, sie war nur eingeschlafen. Was sollte er jetzt tun?
    Vorsichtig setzte er sich auf den Schaukelstuhl vor dem Kaminfeuer, legte einen Wollschal über Hallie und schaukelte sie, bis er selber einnickte.
    In der offenen Tür standen die Amme und Mrs. MacGraff.
    »Es ist zum Staunen«, sagte Mrs. MacGraff. »Seine Lordschaft war noch nie hier oben.«
    Die Amme hielt ihr eigenes Kind an die von Milch geschwellten Brüste. Es tat weh. »Ich muß Hallie füttern«, sagte sie.
    Alec wachte auf und drehte sich zur Amme um. »Sie schläft«, sagte er nur. »Ich habe sie geschaukelt.«
    Die Amme platzte heraus: »Sie sieht genauso aus wie Sie!« Und hielt erschrocken inne.
    Alec stand auf. Davon erwachte Hallie. Sie schaute unsicher zu ihm auf und machte ein Bäuerchen. Alec grinste. »Sie braucht Sie«, sagte er zu der Amme.
    Er sah zu, wie die Amme ihr eigenes Kind hinlegte und ihm dann mit geschickten Händen Hallie abnahm. »Wenn das Baby wieder eingeschlafen ist, will ich Sie sprechen. Bitten Sie Mrs. MacGraff, Sie zur Bibliothek zu bringen!«
    Er nickte den beiden Frauen zu und ging aus dem Kinderzimmer. Sein Schritt war leicht, die Schultern waren gereckt. Endlich fühlte er etwas anderes als Kummer.

1
    An Bord der Schonerbark
Night Dancer
    Nahe der Chesapeake-Bucht
    Oktober 1819
    Alec Carrick stand an Bord der
Night Dancer
in der Nähe des Ruders. Er behielt das schlagende Segel des vollgetakelten Fockmasts im Auge, während er gleichzeitig seine kleine Tochter beobachtete. Sie hockte im Schneidersitz auf dem Achterdeck auf einem aufgeschossenen Hanftau und übte Knoten. Von seinem Standort sah es so aus, als beschäftige sie sich gerade mit einem Schifferknoten, sie nahm nie eine neue Aufgabe – oder in diesem Fall einen neuen Knoten – in Angriff, bevor ihr nicht der vorhergehende Knoten zu vollster Zufriedenheit gelungen war. Er erinnerte sich, daß sie sich mit dem Rollsteek fast zwei Tage abgemüht hatte. Schließlich hatte Ticknor, der zweite
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