Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stumme Angst (German Edition)

Stumme Angst (German Edition)

Titel: Stumme Angst (German Edition)
Autoren: Christina Stein
Vom Netzwerk:
sagt er zum Hund und hebt ihn zu sich auf die Bank, er soll die Hasen vergessen, die in der Dunkelheit umherspringen. »Selbst wenn, würde ich nicht einfach in ihre Wohnung gehen.«
    Der Hund schaut ihn an, überrascht von der Stimme seines Herrchens dreht er den Kopf über die Schulter, sein gesundes Auge zwinkert; manchmal schauen Tiere so, und man weiß, dass sie alles verstehen.
    Auch in Gedanken nennt er den Hund Hund, anders als Emma, die ihm diesen verrückten Namen gab: Kapitän Ahab. Als hätte heutzutage noch irgendjemand Moby Dick gelesen. Allenfalls Kapitän nennt er den Köter, passt ja auch irgendwie, wegen der Augenklappe.
    Würde Anna nur endlich anrufen. Wegen des Streits schien sie nicht mehr verstimmt gewesen zu sein. Er fragt sich, wann er das letzte Mal eigentlich so verarscht worden ist.
    Es sei denn, dass sie nicht anrufen kann .
    Er ist erstaunt, wie schnell Wut sich wandeln kann. Wie schnell sie einem Gefühl der Angst Platz machen kann. Am Morgen hatten sie einander noch den Schlaf aus den Augen gewischt. Das macht man doch nicht nur so, ist ja schon fast wie sich gegenseitig Pickel ausdrücken. Dafür muss man sich doch vertrauen. Das hätte sie nicht getan, wenn sie noch sauer auf ihn gewesen wäre. Wenn sie einer dummen Bemerkung wirklich Bedeutung beigemessen hätte. Sich am Abend nicht zu melden, wie soll das zusammenpassen? Er findet: ein ziemlich seltsames Ende für eine Geschichte.

Samstag, Tag 2, Anna

    E r sagt: »Schau mich doch mal an.«
    Die Wand neben dem Bett ist mit Holz verkleidet, ich zähle die Astlöcher pro Latte, einszweidreivierfünfsechssieben ; schaut man lange genug hin, erkennt man in ihnen Gestalten: Eine sieht aus wie eine Maus, eine andere wie ein seltsam verzerrtes Gesicht.
    »Anna«, sagt er und tätschelt meinen Arm, wegziehen will ich ihn, doch das geht nicht. In der Nacht hat er neben mir geschlafen. Einen Arm um meinen Bauch gelegt, ihn gestreichelt, doch seine Fingerspitzen hielten rechtzeitig inne, als wollten sie sagen: Siehst du, ich bin kein Monster, ich tu dir nicht weh.
    Das Bett ist zu klein, ich presse die Taille an die Wand. Ich mag ihm mein Gesicht nicht zuwenden, zu viel würde er darin lesen. Doch genauso verletzbar ist mein Rücken, allein die Vorstellung von seiner Hand auf meinem Po.
    »Magst du nichts frühstücken?«
    Ich antworte nicht, das Gesicht in der dritten Holzlatte hat zwei schief sitzende Augen. Ein Quasimodo-Gesicht, das mich angrinst.
    »Anna? Willst du nichts frühstücken?«
    »Das geht nicht, meine Hände sind gefesselt.«
    Der Geschmack in meinem Mund ist schal, zu lange habe ich nichts mehr getrunken.
    »Hier ist kalter Orangensaft«, sagt er.
    Nun wende ich ihm doch das Gesicht zu und sehe, dass er das Frühstück angerichtet hat: Brötchen, Marmelade, Käse, Saft. Eine Vase mit einer Rose steht dabei: das Abbild seiner Welt, die Wirklichkeit geworden ist.
    »Ich muss aufs Klo.«
    Er schaut mich an, lange, ich wende mich ab, sein Blick ist zu starr, zu ungesund. Er schaut wie einer, der in der Vase sitzt und nicht mehr über den Rand zu blicken vermag.
    »Schau mich an, Anna.«
    Mein Blick streift sein Gesicht, seine blauen Augen.
    »Wer ist der Chef?«
    Meine Augen wandern wieder zu den Holzlatten, einszweidreivierfünfsechssieben , warum fühlen sich die Wangen nass an; wieder fordert er: »Wer ist der Chef?« – diesmal schon ungeduldiger, er greift nach meinem Kinn, schiebt es zu sich herüber.
    »Schau mich an.«
    Etwas wie Stillstand zwischen uns, als würde man über ein weites Feld blicken, eine Wiese, kurz vor Sonnenaufgang.
    »Wieso heulst du?«
    Ich schlucke, hab zu viel Tränen im Rachen, aber er kann mich mal, er ist nicht der Chef.
    Ich antworte: »Deine blauen Augen machen mich so sentimental.«
    Der Schlag trifft mich unvermittelt: Ein Krachen im Kopf, wie laut das ist. Und wie ich schreie, wie er schreit. »Verarsch mich nicht, hast du kapiert! Verarsch mich nicht!«
    Dass ein Mensch sich so verändern kann. Und dass es wirklich solche Menschen gibt. Die Frauen in ein Auto locken, ihnen ein Tuch vors Gesicht pressen.
    Wieso bin ich überhaupt eingestiegen in dieses verdammte Auto! Ich habe ihn doch seit drei Jahren nicht mehr gesehen, wie konnte ich ihm vertrauen ?
    Irgendwann höre ich mich nicht mehr schreien, ihn nicht mehr brüllen. Er hat sich wieder auf den Stuhl neben das Bett gesetzt und die Hände vors Gesicht geschlagen.
    Hinter ihm, auf der anderen Seite des Zimmers, blicke ich auf das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher