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Stromschnellen: Roman (German Edition)

Stromschnellen: Roman (German Edition)

Titel: Stromschnellen: Roman (German Edition)
Autoren: Bonnie Jo Campbell
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Buche schlug zwischen Cranes Pick-up und dem Haus zu Boden und begrub einen Gewürzbaum unter sich, der im Frühling immer süß geduftet hatte. Crane stellte einen Fuß auf den gefällten Baum und sägte ein paar ofenlange Stücke vom Stamm ab. Dann machte er sich mit der Kettensäge über die Einladung her. Margo staunte, wie lange es dauerte, das Wort Murrays zu schreddern.
    »Der Scheißkerl hat Nerven!«, knurrte Crane.
    Margo schluckte.
    »Wenn du was zu sagen hast, Margo, sag es! Mit dieser ernsten, verschreckten Miene kann ich so früh am Morgen nichts anfangen!« Crane schnitt noch ein halbes Dutzend Klötze Feuerholz in der passenden Länge zurecht, dann würgte er den Motor ab und warf die Säge auf die Ladefläche seines Pick-ups. »Bist du jetzt bereit, darüber zu reden?«
    Sie wollte den Kopf schütteln, verkniff es sich jedoch.
    »Wir lassen uns von ihm nicht beleidigen«, verkündete Crane, kletterte in die Fahrerkabine, knallte die Tür zu und fuhr los. Der Auspuff des Ford spuckte Ruß, und seine Hinterräder gruben sich in die Eiskruste auf der zweispurigen Zufahrt. Als er schon außer Sichtweite war, hörte Margo immer noch, wie er den Kies auf der Straße aufspritzen ließ und dann knatternd an der Pizzabude, dem Drugstore, dem Lebensmittelladen sowie der Kneipe von Murrayville vorbei und flussabwärts über die Brücke fuhr.
    Nein, sie war nicht bereit, darüber zu reden. Und sie war auch nicht bereit, Onkel Cal ins Gefängnis zu schicken, damit er dortverrottete, wie ihr Vater sich ausgedrückt hatte. Wenn Crane doch nur mehr Geduld mit ihr hätte. Hätte er an diesem Morgen nicht mit der Kettensäge verrückt gespielt, hätte sie seine verschränkten Hände als Steigbügel benutzen und sich von ihm zum Zettel hochheben lassen können. Sie hätte ihn abgerissen und zusammen mit den Küchenabfällen verbrannt. Nun waren die winzigen Schnipsel des orangefarbenen Papiers übers ganze Grundstück verstreut, und jeder einzelne würde Crane bis zum ersten großen Schneefall Tag für Tag an die Einladung erinnern. Und in den Tagen danach würde das Bastelpapier den Schnee orange färben, und wenn es im Frühjahr taute, wären immer noch Reste davon übrig.
    Margo ging zum Schaukelgestell zurück, legte den Arm um ihren aufgehängten Hirsch und blickte über den Fluss. Vielleicht war die Einladung gar nicht als Beleidigung gemeint gewesen. Wahrscheinlich sollte sie vielmehr ein Angebot sein, den Ärger vom vergangenen Jahr für einen Tag zu vergessen und miteinander zu essen, zu trinken und sich zu amüsieren. Margo hätte Joanna gerne wiedergesehen. Joanna hatte ihr das Kochen beigebracht, was man von ihrer eigenen Mutter nicht behaupten konnte. Luanne brachte es sogar fertig, Wasser anbrennen zu lassen, spottete Crane gerne. Joanna hatte bestimmt schon mit dem Kuchenbacken für das Fest am Freitag angefangen: Früchtebrot, Apfel-, Kürbis- und Schwarznusskuchen. Ihre Söhne halfen ihr zwar, die Nussschalen mit dem Hammer aufzubrechen, aber sie hatten es immer ziemlich schnell satt, die Nüsse herauszupulen, sodass diese Arbeit stets an Joanna und Margo hängen geblieben war. Ihre Cousins waren für Margo wie Brüder gewesen, mit Ausnahme von Billy, der immer noch sauer war, weil Großvater ihr und nicht ihm sein Teakholzboot mit dem Namen The River Rose vererbt hatte. Wenn Cal sich für das, was er getan und gesagt hatte, entschuldigen und ihren Vater wieder als Werkmeister in der Metallfabrik einstellen würde, wäre alles in Ordnung. Dann könnte ihr Daddy den türkisblauen Krämerkittel gegen seine alte Arbeitskluft mit dem über der Brusttasche in roter Schreibschrift auf weißem Grund aufgestickten Namenszug CRANE eintauschen, und sie könnten die Zahnarztrechnungen bezahlen.
    Margo zog das geschliffene Messer aus dem Baumstumpf und ging damit zurück zu ihrem Hirsch, dem größten von den dreien, die sie bislang erlegt hatte. Die Läufe waren bereits abgesägt, der Anus herausgeschnitten und die Öffnung zugebunden. Margo wollte den ersten langen Schnitt so schnell wie möglich hinter sich bringen, denn sie wusste, dass es beim dritten Mal nicht einfacher sein würde als beim ersten oder zweiten. Nach diesem Initialschnitt, der ein totes Lebewesen in ein Stück Fleisch verwandelte, würde sie sich besser fühlen. Zu ihrem Erstaunen hatte sie festgestellt, dass das Töten der einfachste Teil war. Crane würde ihr sicher dabei helfen, den Hirsch aufzubrechen und aus der Decke zu schlagen, wenn
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