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Streng vertraulich

Streng vertraulich

Titel: Streng vertraulich
Autoren: Dennis Lehane
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von schmelzendem Karamel hatten. Augen, in die man ohne Bedenken eintauchte.
    Heute hatte ich aber keine Möglichkeit, ihr in die Augen zu sehen. Sie legte die Zeitung nieder und sah mich durch eine schwarze Wayfarer an. Ich bezweifelte, daß sie die Brille in nächster Zukunft abnehmen würde.
    »Hey, Scooter«, grüßte sie mich und nahm eine Zigarette aus der Packung auf ihrem Schreibtisch.
Angie ist die einzige, die mich Scooter nennen darf. Wahrscheinlich, weil sie die einzige ist, die vor dreizehn Jahren nachts mit mir im Auto meines Vaters saß, als ich es um eine Straßenlaterne in Lower Mills wickelte.
»Hey, Süße«, antwortete ich und ließ mich in meinen Stuhl fallen. Ich glaube, ich bin nicht der einzige, der sie »Süße« nennt, aber das ist die Macht der Gewohnheit. Oder die Feststellung einer Tatsache. Kann man sich aussuchen. Ich nickte ihr hinter der Sonnenbrille zu: »Letzte Nacht Spaß gehabt?«
Sie zuckte mit den Achseln und sah aus dem Fenster. »Phil war betrunken.«
Phil ist Angies Mann. Phil ist ein Arschloch.
Das sagte ich ihr.
»Ja, schon…« Sie hob eine Ecke des Vorhangs hoch und spielte mit ihr herum. »Was willst du da machen, hm?«
»Was ich schon mal gemacht habe«, antwortete ich. »Nur zu gerne.«
Sie senkte den Kopf, so daß ihr die Sonnenbrille bis auf den kleinen Höcker auf dem Nasenrücken herunterrutschte und den Blick auf eine dunkle Verfärbung freigab, die sich von ihrem linken Augenwinkel bis zur Schläfe zog. »Und wenn du damit fertig bist«, entgegnete sie, »kommt er nach Hause, und danach sieht das hier wie ein liebevoller Klaps aus. Sie schob die Sonnenbrille wieder vor die Augen. »Sag mir, falls ich mich irre.« Ihre Stimme war klar, aber so kalt wie die Sonne im Winter. Ich haßte diese Stimme.
»Wie du willst«, sagte ich.
»Klar.«
Angie, Phil und ich sind zusammen aufgewachsen. Angie und ich, immer beste Freunde. Angie und Phil, immer die große Liebe. Manchmal ist das so. Nach meinen Erfahrungen nicht immer, Gott sei Dank, aber manchmal. Vor ein paar Jahren kam Angie mit Sonnenbrille ins Büro. Wo vorher ihre Augen waren, befanden sich nun zwei riesige Kugeln. Außerdem hatte sie ein hübsches Sortiment von blauen Flecken auf den Armen und am Hals sowie eine zweieinhalb Zentimeter große Beule am Hinterkopf. Mein Gesicht mußte verraten haben, was ich vorhatte, weil sie nichts weiter sagte als: »Patrick, sei vernünftig.« Nicht, daß es das erste Mal gewesen wäre, nein. Aber es war so schlimm wie nie zuvor, und als ich Phil in Jimmy’s Pub in Uphams Corner aufspürte, wir ein paar anständige Bier zusammen tranken, ein oder zwei anständige Runden Pool-Billard spielten, ich ihn auf das Thema ansprach und er mit »Warum kümmerst du dich nicht um deinen eigenen Scheiß, Patrick?« antwortete, prügelte ich ihm mit einem anständigen Queue fast die Seele aus dem Leib.
Danach war ich einige Tage ganz zufrieden mit mir. Ich erinnere mich zwar nicht, aber es ist möglich, daß ich mich einigen romantischen Phantasien bezüglich Angie und mir hingab. Dann wurde Phil aus dem Krankenhaus entlassen, und Angie kam eine Woche nicht zur Arbeit. Als sie wieder da war, bewegte sie sich sehr vorsichtig und keuchte jedesmal, wenn sie sich hinsetzte oder aufstand. Ihr Gesicht hatte er ausgelassen, aber ihr Körper war schwarz vor Prügel.
Zwei Wochen lang sprach sie nicht mit mir. Ganz schön lange, zwei Wochen.
Jetzt sah ich sie an, während sie aus dem Fenster blickte. Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, warum eine solche Frau
- die sich von keinem etwas sagen ließ, die zwei Salven in einen Dickkopf namens Bobby Royce gepumpt hatte, weil er nicht auf unsere freundlichen Bitten eingehen wollte, zu seinem Kautionsbürgen zurückzukehren -, warum eine solche Frau es zuließ, daß ihr Mann sie wie ein Punchball behandelte. Bobby Royce war nie wieder aufgestanden, und ich fragte mich oft, wann Phil wohl an der Reihe sein würde. Bis jetzt jedenfalls nicht.
Und die Antwort auf meine Frage lag in der weichen, müden Art, in der sie über ihn redete. Sie liebte ihn, ganz einfach. Ein Teil von ihm, den ich schon lange nicht mehr erkennen konnte, offenbarte sich ihr noch in ihren privaten Momenten, er besaß noch irgendeine gute Seite, die wie das Helle in ihren Augen leuchtete. Das mußte es sein, weil nichts anderes in ihrer Beziehung für mich verständlich war, und auch für niemanden sonst.
Sie öffnete das Fenster und schnippte die Zigarette nach draußen.
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