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Störgröße M

Störgröße M

Titel: Störgröße M
Autoren: Bernd Ulbrich
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Raumschiff. Ihm bleibt nicht einmal Zeit, sich mit dem Freitod der Frau auseinanderzusetzen.
Mit Sauerstofftanks beladen erreicht er die Höhle wieder. Was für ein grausiger Anblick muß sich ihm geboten haben? Sie sind alle tot, umgekommen im Kampf jedes gegen jeden.
Ein Schwächerer als er wäre verzweifelt, ein Geringerer hätte aufgegeben. Kogol jedoch kehrt zur Erde zurück.«
Simak atmet tief. Wie um einen abschließenden Gedanken gestisch zu unterstreichen, fährt er sich über die Stirn. »Beladen mit der Erinnerung an den fünfzigfachen Tod führt er ein ruhelos schöpferisches Dasein. Unter seinem Kommando stehen noch einige bedeutende Expeditionen zu den Jupitermonden. Er führt sie mit bewunderungswürdigem Mut, voller Güte, mit unendlichem Langmut für menschliche Schwächen, stets bereit, dem Versagenden von seiner Stärke zu geben. Ich glaube, die Menschen, die ihm damals begegneten, schufen die Legenden.« Er lächelte Gould zu. »Nie wieder kehrt er auf den Pluto zurück. Hochgeehrt stirbt Kogol im Alter von sechsundneunzig Jahren auf der Erde.«
Eine geraume Zeit vermochte keiner der Zuhörer, den Bann des Schweigens zu brechen. Schließlich bemerkte jemand: »Es ist wohl wichtig, was für ein Mensch solch eine Geschichte erzählt. Sie hing mir, ehrlich gesagt, derart zum Halse heraus, daß ich sie verdrängt und vergessen hatte. Jetzt habe ich das Gefühl, in Kogol einen persönlichen Freund verloren zu haben, einen Vertrauten. Dafür wollen wir dir danken.«
Die Worte drückten die Gedanken und Empfindungen aller aus. Es war eine schweigende Übereinkunft.
Selbst Gould, der den ganzen Vorgang vorwärts und rückwärts kannte, entdeckte in sich eine neue Beziehung zu der historischen Gestalt, eine intime Einheit, die sich auf seinen Partner übertrug. Er hatte ihn unterschätzt. Besaß nicht auch er des Idols Zielstrebigkeit, seine Kraft und konzentrierte Ausdauer? Er war jung, hier und da vielleicht noch unreif. Aber würde nicht auch er sich opfern? Es war eine Hoffnung. Doch was tat es, daß er den Beweis nicht würde antreten können? In diesem Moment fühlte er sich seinem Gefährten enger verbunden denn je. Litten sie nicht beide gleichermaßen mit den Bedauernswerten, die keinen Ausweg aus der Verzweiflung gefunden hatten, als wie Tiere übereinander herzufallen? Hatten sie nicht Anspruch auf Nachsicht? Durften sie nicht auf Verständnis hoffen, auf die Erlaubnis, am Leben zu hängen?
Wann verläßt den Menschen der Glaube an die Würde des Lebens?
Wenn Kogol es geschafft hätte, wenn er einigen seiner Kameraden das Leben hätte retten können, wie hätten sie weiterexistiert, mit der Beschämung vor dem Tod, den ihre Schwäche mitverschuldet hatte?
Er wagte diese Frage erst in der Vertraulichkeit ihrer Schlafkabine auszusprechen. In Erwartung der Antwort sah er zu Simak hinüber.
Vor der Wand erhob sich Simaks Profil. Das wenige Licht umgab es mit einem Grauton, der sich beim Haaransatz noch vertiefte. Eingefallener als sonst wirkten die Wangen, fliehend ins Bodenlose die Linie der Stirn. Im Bogen der Nase wiederholte sich ihre Krümmung. Das Bild erweckte in ihm die Erinnerung an die Totenmaske eines Philosophen oder eines Dichters. Er konnte Namen und Person nicht finden. Gleichviel, in seinem Ernst erschien ihm dies Gesicht verehrungswürdig. Seine Jugend überlagerte schon Selbstbewußtsein. Indem er das entschlüsselte, erwachte in ihm wieder der Drang, es zu zerstören.
»Ist das für dich eine Frage?« hörte er Simaks Stimme. »Man kann mit vielem leben. Ich glaube, mit allem, was vorstellbar ist. Dinge, die geschehen sind, entfernen sich. Weißt du das nicht besser als ich?«
»Wenn das für dich zutrifft«, sagte Gould, »dann bist du mir unheimlich.«
Simak lachte, und sein Schatten lachte als groteske Verzerrung mit. Er fragte: »Was hältst du von Random?«
»Professor Random?«
Simak stieß ein Kichern aus. »Verlange nicht, daß ich vom Chef der Astrogeschichtswissenschaftlichen Sektion respektvoller spreche.«
»Was hat der mit meiner Frage zu tun?«
»Er fällt mir nicht ohne Grund ein. Weißt du eigentlich, womit der lebt?«
»Nein.«
Lachend wälzte sich Simak herum. Er stützte den Kopf in die Hand und betrachtete seinen Kollegen. »Nimm es mir nicht übel, aber bei aller Hochachtung vor deinen Arbeiten habe ich den Eindruck, du seist zu dem Auftrag gekommen wie die Jungfer zum Kind.«
Diesen Ton war Gould von Simak nicht gewöhnt. Es lag eine Nuance darin, die nicht
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