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Stirb leise, mein Engel

Stirb leise, mein Engel

Titel: Stirb leise, mein Engel
Autoren: Andreas Götz
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einen Schwall Luft aus. Er war doch kein Psycho. Und überhaupt, was sollte es bringen, alles wieder und wieder durchzukauen? Passiert war passiert, und irgendwie musste man eben damit klarkommen. Alles andere war total uncool. Sein Vater jedenfalls wäre bestimmt nicht zu so jemandem gegangen, egal, wegen was.
    »Gib der Sache doch wenigstens eine …«
    Es klingelte an der Tür. Sascha zuckte zusammen, und ehe er mitbekam, was passierte, war die Olive schon quer über den Tisch geschossen und unter dem Tellerrand seiner Mutter gelandet. »Scheiße.« Er setzte ein ungelenkes Grinsen auf. »Knapp vorbei ist auch daneben.«
    Seine Mutter sah ihn mit hochgezogenen Brauen an. Anscheinend fand sie das gar nicht witzig. Eher besorgniserregend. Dann stand sie auf und verließ die Küche.
    Kaum war sie durch die Tür, sackte Sascha in sich zusammen. Was sie gleich wieder dachte. Er war wirklich bloß erschrocken. Panik kriegte er nur, wenn es klingelte und sie nicht da war und auch nicht angerufen hatte. War doch auch ganz normal, nach allem. Und auf Psychogelaber hatte er absolut keinen Bock. Auf die wichtigsten Fragen hatte dieser Dr. Androsch doch sowieso keine Antworten. Warum zum Beispiel überhaupt so was passieren musste. Warum ein Tag, der ganz normal anfing, im totalen Horror enden konnte.
    So wie jener vor elf Monaten. Seine Mutter hatte freigehabt und nach dem Mittagessen noch endlos lange mit Sascha geredet, was damals nicht gerade oft vorkam. Und dann dieses schreckliche Klingeln. Zwei Polizeikollegen, unangemeldet. Seiner Mutter genügte wahrscheinlich schon der Anblick der beiden fahlen Gesichter, um zu wissen, was los war. Sie gingen ins Wohnzimmer, redeten gedämpft hinter verschlossener Tür. Sascha wusste sofort, dass etwas passiert war, und er erinnerte sich noch genau an das Gefühl, mit dem er aus der Küche in den Flur geschlichen war und daran, wie er dann dort stand und in diese zementierte Stille lauschte, aus der nichts zu ihm drang. Nach kurzer Zeit gingen die beiden Männer wieder, beide sahen ihn an wie jemanden, der einem nur leidtun konnte, einer klopfte ihm sogar im Vorbeigehen auf die Schulter. Und dann seine Mutter, die zu ihm kam, ihn fest umarmte, aus geröteten Augen ansah und sagte: »Wir müssen jetzt ganz stark sein.« Das waren der Tag, die Stunde und die Minute, als für ihn die Zeiger auf null gestellt wurden. Und dort standen sie noch immer.
    Seine Mutter kehrte zurück. »Die neue Nachbarin«, teilte sie ihm mit. »Wollte wissen, wo hier in der Nähe eine Tankstelle ist. Sie wirkt nett.«
    Sie setzte sich wieder, pulte die Olive unter ihrem Tellerrand hervor und steckte sie in den Mund.
    »Ich habe für dich einen Termin bei Dr. Androsch gemacht«, sagte sie in diesem Kriminalhauptkommissarinnenton, den er absolut nicht leiden konnte. »Nächsten Donnerstag, fünfzehn Uhr. Wenn du willst, komme ich mit. Wenn du allein hingehen willst, auch gut. Aber hingehen wirst du.«

2
    NACH ALLEM, WAS seine Mutter über Dr. Androsch erzählt hatte, hatte Sascha ihn sich ganz anders vorgestellt. Wie genau, wusste er gar nicht, aber auf jeden Fall nicht so: mittelgroß, schmächtig und nichtssagend wie ein leeres Blatt Papier. Nur seine Augen sind echt der Hammer, dachte Sascha. Meeresblau. Der Kontrast zu den schwarzen Haaren machte sie noch intensiver. Wie ein Magnet zogen sie den Blick an und ließen ihn nicht mehr los.
    »Setz dich, Sascha. Willst du was trinken? Cola, Wasser, Kaffee?« Dr. Androschs Stimme war weder laut noch leise, weder hoch noch tief und passte perfekt zu seinem Aussehen.
    Sascha schüttelte den Kopf. Er wollte nur eines: überhaupt nicht hier sein. Da er aber nun einmal hier sein musste, wollte er die Sache wenigstens möglichst reibungslos hinter sich bringen.
    Er hatte erwartet, in eine Art Arztpraxis zu kommen. Das goldene Schild mit der Aufschrift Dr. Joachim Androsch – Psychotherapeut – Termine nur nach Vereinbarung , das unten neben der Haustür und oben am Eingang hing, sah ja auch sehr arztmäßig aus. Aber es gab hier nicht mal eine Sprechstundenhilfe oder so was. Nachdem er sich in den dritten Stock hochgeschleppt und geklingelt hatte, hatte Androsch selbst die Tür aufgemacht. Über knarzendes Parkett hatte er ihn dann in diesen Raum geführt, wo sie jetzt in einer erdbraunen Sitzgruppe saßen – Androsch im Sessel, Sascha auf der Couch –, unter Schwarz-Weiß-Fotos von Dünen, die liegenden Frauenkörpern ähnelten.
    »Ist das Du überhaupt in
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